Dienstag, 1. September 2015

Willkommen in London! Oder: Warum Busfahrer die dicksten Eier haben.

10.08.2015 Teil 3
Auf den letzten Kilometern meiner Reise im Eurostar, schaffe ich es endlich meinen Mitreisenden auch mal gehörig auf den Zeiger zu gehen. Schuld daran ist mein Nerd T-Shirt, das den Spruch „Keep Calm and say NI!“ trägt. Aufmerksame Monty Python Fans werden sofort wissen worum es geht. Allen anderen sei gesagt: Es ist eine Referenz auf den Film „Die Ritter der Kokosnuss“. Ein Meisterwerk aus Großbritannien und einer der wenigen, erlesenen Streifen, die ich komplett mit zitieren kann. … Auf  Deutsch und Englisch…!
Nun, als ich aufstehe und mich schon mal auf den Weg zum Gepäckabteil mache erblickt ein junger Asiate jenen Aufdruck. Anhand seines Atari T-Shirts, der schwarz umrandeten Brille und dem halben Apple Store, den er um sich verteilt hat, erkenne ich sofort einen Mitstreiter. Wir begrüßen uns mit einem spitzen „NI!“ und setzen dann die Unterhaltung fort, indem wir uns ein Filmzitat nach dem anderen an den Kopf werfen. Hach, es ist schön auf Gleichgesinnte zu treffen. Treffen würden uns die Mitreisenden sicherlich auch gerne mal, allerdings mit dem Geschoss einer Pump Gun. Aber, das gönne ich mir jetzt, schließlich habe ich in den letzten 5 Stunden nicht einen einzigen Laut von mir gegeben. Zehn Minuten später kennt auch der Rest des Waggons den halben Film. Dann ist die Zotenschlacht überstanden und wir rollen in London St.Pancras ein. Es klingt verrückt, aber dieser Bahnhof ist unter anderem ein Grund dafür, dass ich eine Zugfahrt dem Flieger vorziehe. Man kommt wirklich mitten im Geschehen an und wird von einem der für mich schönsten Bahnhöfe begrüßt. Nachdem ich aus dem Zug gestiegen bin bleibe ich erst einmal stehen um die Atmosphäre auf zu saugen. Mein Blick geht Richtung Ausgang, dort wo die historische Bahnhofsuhr hängt. Unter ihr die riesengroße Statue zweier Liebenden. London heißt mich willkommen. Doch die Ruhe dauert nicht lange an, denn die goldenen Zeiger halten mir vor Augen, dass ich in nur 2 Stunden bereits im National Theater sitzen muss. 
Als ich nach draußen stürme, habe ich das Gefühl jemand hat mich aus dem fahrenden Wagen auf eine zwanzig-spurige Autobahn geworfen. Menschen, Menschen, Menschen. Vor mir, hinter mir, neben mir. Rush hour. In meinem Hinterkopf höre ich das ständige Ticken eines Sekundenzeigers.Wenn man nicht rechtzeitig im Theatersaal sitzt, wird man nach Beginn der Vorstellung nicht mehr hinein gelassen. Eine durchaus gängige Praktik nicht nur in London, damit die anderen Zuschauer nicht gestört werden. Zum Glück bin ich gut vorbereitet, kenne die Gegend und arbeite mich zügig durch eine Reihe von Notwendigkeiten. Punkt 1: Geld abheben. Punkt 2: Oyster Card aufladen (das ist die Fahrkarte für Bus und U-Bahn). Punkt 3: Den richtigen Bus erwischen. Tatsächlich klappt alles problemlos und nur kurze Zeit später sitze ich in der Linie 59 Richtung Waterloo.  
Noch, denn bezogen auf das „Sitzen“ habe ich den heißen Stuhl gewählt. Der Bus ist schon gut gefüllt und mit meinem pinken Koffer bleibt mir nur noch der „priority seat“. Das ist ein Platz, den man frei machen muss, sollte jemand mit Kinderwagen den Bus betreten. Ist der Platz mit einem Kinderwagen belegt, es steigt aber eine Schwangere ein, dann muss der Platz wiederum für diese Person frei gemacht werden. Und wenn jemand im Rollstuhl dazu steigt, dann sticht dieser wiederum die Schwangere. All dies zeigt mir die gelbe Hinweistafel direkt neben meinem Sitz. Die Litanei liest sich wie ein Comic. Zwei Stationen später wird eine ältere Dame im Rollstuhl eingeladen. Ich bin verwirrt… hätten nicht zuvor ein Kinderwagen und eine Schwangere auftauchen müssen? Darf ich den Platz  unter diesen regelwidrigen Umständen überhaupt schon abgeben? 
Natürlich mache ich sofort Platz und hieve meinen Koffer auf den letzten freien Stellplatz im Bus. Im Gegensatz zum Eurostar, wo die über motivierte Klimaanlage Eiswürfel auf die Passagiere abgeworfen hat, wird im Bus gerade ein subtropisches Habitat gegründet. Ich merke wie Schweißperlen, zäh meinen Rücken herunter laufen. Sie begraben damit sämtliche Hoffnung, dass ich mich vor dem Theater nicht mehr umziehen muss. Die Uhr tickt erbarmungslos weiter.Wie immer stapeln sich massenhaft Autos auf den Straßen und die Großstadtluft macht einem Landei wie mir sofort zu schaffen. So geht es mir aber nicht nur in London, wo mir die Abgase zum Glück nur ein leichtes Kratzen im Hals abverlangen. In Paris dachte ich mal eine Aschenbecher Entsorgungsanlage wäre explodiert und in Bangkok fühlte ich mich wie ein Goldfisch, den man aus seinem Aquarium auf  heißen Asphalt gekippt hat. Aber das ist eine andere Geschichte. Zurück nach London. 
So verstopft wie die Straßen auch sind, ich habe bisher noch nicht einmal mit dem Bus länger als eine Minute irgendwo gestanden. Und das gilt auch für die Haltestellen! Als Neuankömmling wundert man sich warum die Fahrgäste beim Busfahrer immer demütigste Dankesreden schwingen, während sie ihre Fahrkarte über den Scanner ziehen. Wenn man die Situation aber mal aus der Ferne beobachtet, versteht man warum. Der Verkehr in London ist ein einziges, filigranes Konstrukt. Jeder Ausreißer hat Auswirkungen, die das komplette System lahmlegen können. Jeder Bus, der auch nur ein paar Sekunden zu lange in der Haltestelle steht, verursacht hinter sich ein komplettes Rückstau Chaos. Und damit das nicht passiert, sind Busfahrer in London die emotionslosesten Maschinen, die ich je im Straßenverkehr kennen lernen durfte. Ok, Mitarbeiter der Deutschen Bahn können das ebenfalls sehr gut, aber der Unterschied ist: Die machen das weil sie keinen Bock auf ihren Job haben. Der Londoner Busfahrer hingegen hat eine Ausbildung auf dem Chuck Norris College für Kraftfahrzeugführer genossen und gibt alles um die Großstadt am Leben zu halten. Zu Hause ist er bestimmt ein netter Kerl, aber hier, auf dem harten Asphalt des Lebens hat er sein Lächeln in der Umkleidekabine gelassen. Als ein älteres Ehepaar einsteigt und tatsächlich den Fehler begeht eine Fahrkarte im Bus kaufen zu wollen, zeigt der Fahrer was er so alles auf der Schule gelernt hat. Die Rentnerin, offensichtlich eine Britin, aber definitiv keine Einwohnerin Londons, fragt nach der Endhaltestelle. Der Fahrer bestätigt das mit einem kurzen Nicken und schließt bereits die Tür. Als die Dame das Geld zückt, geht diese aber schneller wieder auf als die Hydraulik zischen kann. Mit wedelnder Hand und keinerlei weiteren Worte, komplimentiert der Herr des Busses die beiden sichtlich überrumpelten Rentner wieder hinaus. Diese kurze Verzögerung sieht der Mann im Anzug auf der gegenüberliegenden Straße als seine Chance an. Er sprintet los, sein Schlips weht im Wind, seine Haare werden zerzaust und seine Augen weiten sich, voller Hoffnung den Bus doch noch zu erwischen. Er vergrößert die Schritte, zückt dabei seine Karte, nimmt Anlauf um die Einstiegsstufe noch zu schaffen… und knallt mit dem Gesicht, schmatzend gegen die sich gnadenlos schließende Tür. Der Busfahrer sieht den Mann genau, es interessiert ihn aber nicht. Und jetzt kommt das wirklich absurde: In Deutschland würde der zurückgelassene Passagier sofort sein Handy zücken, die Polizei, das Militär und die Staatsanwaltschaft einschalten und als Schadensersatz das komplette Haus des Fahrers pfänden. Nicht so in London. Als wir langsam aus der Haltestelle rollen, sehe ich wie der Mann draußen entschuldigend die Hände hebt und sich ohne jede Gegenwehr, brav in die Schlange für den nächsten Bus stellt. Abgefahren… im wahrsten Sinne des Wortes. Und doch irgendwie verständlich, denn ein Blick hinter mich zeigt mir, dass selbst diese winzige Verzögerung bereits zu einer riesigen Anstauung von PKW und Bussen geführt hat. Dieser konsequenten Handhabe habe ich dann auch zu verdanken, dass ich es tatsächlich rechtzeitig ins Hotel schaffe. Ich mache mich kurz frisch, ziehe mich um und fahre dann mit dem nächsten Bus zum National Theater. „Everyman“ heißt das Stück und darüber berichte ich dann in meinem nächsten Beitrag.

Stay Professional


London welcomes you!

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