Mittwoch, 9. September 2015

Everyman! Oder: Nachtjoggen klingt interessanter wenn man es mit ck schreibt

10.08.2015 Teil 4
London, 17:00 Uhr, ich stehe in meinem Hotelzimmer und halte einen Fenstergriff in der Hand. Ja, ihr habt richtig gelesen. Nur den Griff, ohne dazugehöriges Fenster. Das sitzt immer noch bombenfest in seiner Verankerung. Ooops. Wie bei so vielen Hotels in London, hat auch dieses hier die Fenster regelrecht verschweißt. Vermutlich damit der gestresste Ehemann nach vier Tagen Städtetrip mit der Ehefrau, nicht den Luftweg zur Rezeption im Erdgeschoss nimmt. In der Regel haben diese Hotels dann aber auch eine Klimaanlage. Meines nicht. Dafür aber kann man das Fenster zumindest einen Spaltbreit öffnen, sofern ein entsprechender Griff daran befestigt ist. Ich pfeffere das nutzlose Ding beiseite und beschließe ohne lebensnotwendige Luftzufuhr unter die Dusche zu springen. Kurze Zeit später habe ich den Raum in eine Saunalandschaft verwandelt. Immerhin war das Hotel so nett einen Ventilator auf zu stellen.
 Und nun die Frage aller Fragen: Was zieht man in London im Theater an? Ein gut gemeinter Rat an alle, die sich jetzt ebenfalls diese Frage stellen: Macht euch keinen Kopf! Ganz ehrlich, sofern ihr nicht geladene Gäste irgendeiner Gala oder Schickimicki Premiere seid, zieht etwas an in dem ihr euch wohl fühlt. Gut, ich meine jetzt nicht den Ballonseiden Trainingsanzug, aber ehrlich gesagt, ich glaube selbst der würde gehen. Wie ich darauf komme? Nun, dazu später mehr. Ich schlüpfe also in Jeans und T-Shirt und mische mich wieder unter das Volk. Endlich muss ich keinen tonnenschweren Koffer mehr hinter mir her ziehen, endlich bin ich richtig angekommen. Mit dem Bus geht es zurück zur Waterloo Bridge, die über die Themse führt. Das National Theatre liegt zu meiner rechten Seite. Ein grauer Betonbau aus den Siebzigern, der an ein paar schlecht aufeinandergestapelte Tupperdosen erinnert. So hässlich der Bunker auch ist, er übt eine ungemeine Faszination auf mich aus. Von hier aus werden jedes Jahr Live Übertragungen in Kinos in der ganzen Welt übertragen. Ich stehe nicht das Erste Mal hier. Während andere die Aussicht auf  Big Ben und das London Eye, auf der linken Seite der Brücke genossen haben, schaute ich auf dieses Gebäude und habe mir vorgestellt wie gerade ein gebanntes Publikum im abgedunkelten Theatersaal sitzt. Den Blick auf die Bühne gerichtet, mucksmäuschenstill und auf magische Weise versetzt in eine andere Welt. Heute darf ich diese Welt endlich auch betreten. Das Stück heißt Everyman. Viele kennen es vielleicht unter dem Namen „Jedermann“, geschrieben von Hugo von Hoffmansthal. Es gibt aber noch eine wesentlich ältere, englische Fassung, die aus dem 15. Jahrhundert stammt, und ja ich gebe zu, das habe ich gegoogelt um hier und jetzt Klugscheißern zu können. Aber worum geht es in der heutigen, modernen Version dieses Stückes:  Der wohlhabende Jedermann lebt im Überfluss. Drogen und Partys sind sein Alltag, er schaut nicht nach rechts und links. Doch dann wird er vom Tod aufgesucht. Jedermann aber flieht vor ihm und macht sich auf die Suche nach Menschen, die ihm bei diesem letzten, beschwerlichen Weg beistehen. Doch mit und mit merkt er, dass niemand bereit ist ihn zu begleiten. All sein Geld nutzt ihm jetzt nichts mehr. Je näher der Tod kommt, desto bewusster wird ihm wie er bisher gelebt hat. Ihm wird vor Augen geführt wie sich sein zum Teil skrupelloses, unbedachtes Handeln auf seine Mitmenschen und die Umwelt ausgewirkt hat. Auf dieser Reise begegnet er alten Bekannten, seiner Familie und zuletzt sich selbst. Natürlich ist der Name Jedermann bewusst gewählt, denn es fordert jeden auf einmal über sich selbst nach zu denken. Ist es alles richtig was ich mache? Fühle ich mich gut dabei? Bin ich ein guter Mensch und was ist überhaupt gut? Vor dem Theater ist ein riesiger Finger aufgemalt, unter dem man sich fotografieren lassen kann. Es ist als ob Gott auf dich deutet und sagt:  „Hey du! Ja du da unten! Du bist gemeint!“
Hilfe, ich bin noch nicht einmal im Theater angekommen und fühle mich jetzt schon ergriffen.

Heyyy! Hey duuu! Willst du ein i kaufen?


Im Foyer tummeln sich bereits die Besucher und ich nutze die letzten Minuten um mich ein wenig im Cafe aus zu ruhen. Während ich so in der hinteren Ecke des Cafés sitze, kann ich die Menschen unauffällig beobachten. Es ist tatsächlich ein kunterbunter Strauß aus allerlei Farben und Formen, die die Leute an sich tragen. Vom extravaganten Glitzerkleid zum lässigen Jeans Look bis zur Fahrradhose. Moment mal… Fahrradhose?! Ja, ich habe richtig gesehen. Vor dem Eingang zum Saal steht eine blonde Frau. Sie sieht aus als wäre sie gerade die Tour de France gefahren. Ihr knallgelbes Shirt trägt die gleiche Farbe wie der Fahrradhelm unter ihrem Arm. Und es stört niemanden! Das ist London! Wieder ein Grund mehr diese Stadt zu lieben. Als ich den Saal betrete bleibe ich erst einmal ehrfürchtig stehen. Genau diese Bühne habe ich bereits bei diversen Aufführungen im Kino bewundern dürfen. Kein Bühnenbild, gedämpftes Licht, Nebel wabert über dem Publikum. 



Die Bühne! Übrigens auch der Ort
an dem Benedict Cumberbatch das Stück "Frankenstein" aufgeführt hat. 


Mein Platz ist in der dritten Reihe, allerdings leicht erhöht, so dass ich genau auf Augenhöhe der Schauspieler sein werde. Und dann geht es los. Eine Putzfrau, die vorher teilnahmslos in der Ecke stand (ich dachte sie gehört zum Reinigungspersonal) erhebt das Wort. Ab dann wird das Publikum in eine laute, grelle Welt aus Musik, Neonfarben und Lichteffekten gerissen. Es ist als wäre ich selber in einem LSD Trip gelandet, dennoch ist es nur der Drogenrausch des Jedermann auf der Bühne… aber, bin ich nicht eigentlich auch Jedermann? Der Hauptdarsteller Chiwej Ewje… Ewjewej chiw… ew… (Moment ich muss mal eben googeln)…  Chiwetel Ejiofor, bekannt aus dem Oskar prämierten Film „12 years a Slave“ spielt sich die Seele aus dem Leib. Aber nicht nur die, sondern auch jede einzelne Wasserreserve. Meine Güte, ich wusste nicht, dass ein Mensch so sehr schwitzen kann. Immer wieder ertappe ich mich dabei nach der unsichtbaren Gießkanne zu suchen, die diese Wassermassen über seinem Kopf ausschüttet. Die Leute in der ersten Reihe bekommen das besondere Vergnügen mit den Körperflüssigkeiten eines Hollywoodstars in Berührung zu bekommen. Ich gebe zu, auf diese Ehre verzichte ich dann doch ganz gerne. Chiwetel ist mit Leib und Seele dabei, wenn auch etwas hyperaktiv, denn ab und zu würde ich gerne mal durchatmen können. Wer herausragend sein Können unter Beweis stellt sind die Beleuchter und Bühnenbildner, die einen packen und in eine Welt reißen, die mir bis heute nicht mehr aus dem Kopf geht. Da entstehen aus dem Nichts riesengroße Müllmonster a la Jim Henson, da regnet es plötzlich von der Decke, da drischt ein künstlicher Sturm mit so brachialer Gewalt durch den Zuschauerraum, dass selbst drei Wetter Taft meine Frisur nicht mehr halten kann.  Und mittendrin der Tod, der mit dem Publikum interagiert. Nicht mit Worten, nur mit Blicken. Er trifft auch mich und es ist als würde ich eine Stimme in mir hören: „Vielleicht bist du die nächste. Was hast du bisher aus deinem Leben gemacht? Denk mal drüber nach.“  Ein Gefühl, dass mich auch nach der Vorstellung nicht los lässt. Die Menschen ergießen sich aus dem Hauptausgang auf die Promenade vor der Themse. Es ist bereits dunkel geworden und vom Gewässer bläst frischer Wind zu uns hinauf. Langsam zieht sich die schwüle Luft des Tages zurück. Obwohl es kurz vor Mitternacht ist, kommen mir jede Menge Jogger entgegen. Nachtjoggen scheint hier sehr verbreitet zu sein, vermutlich weil man um diese Uhrzeit endlich atmen kann. Ich bin hundemüde und trotzdem aufgedreht. Meine Füße tragen mich weiter, aber nicht zur Bushaltestelle sondern an der Promenade entlang. Die Stadt schläft nicht, ich habe das Gefühl sie ist gerade erst richtig wach geworden. Menschen tummeln sich am Ufer, es wird gesungen, getanzt, gelebt. Ich werde eingesponnen von den Fäden der grellen Neonlichter, getragen von den Klängen der Musik, mitgerissen von der Fröhlichkeit der Menschen. Ich schwimme im Strom neben der Themse und er spült mich an einen Ort, den ich hier gar nicht erwartet hätte. Plötzlich stehe ich in Mitten einer Kulisse aus meiner Lieblingsserie Sherlock. Eine Art Unterführung, die von oben bis unten mit Graffiti besprüht ist. Aber es wirkt nicht dreckig oder ungemütlich sondern eher wie Kunst die ich mit offenem Mund betrachte. Zwischen den Betonpfeilern dreht gerade eine kleine Filmcrew eine Skaterszene. Da ich nicht als „die seltsame Frau“  im Hintergrund eines Youtube Videos landen möchte, gehe ich weiter und verzichte darauf vernünftige Fotos zu machen. Das werde ich definitiv nachholen wenn ich wieder her komme. Irgendwann. 

Ja, hier wurde Sherlock gedreht. Nein es roch nicht nach Urin!
Die Kölner sind jetzt neidisch, gell? ;-) 


Die Brise frischt auf, ich merke wie meine Knochen anfangen zu Schmerzen. Schweren Herzens muss ich mich trennen. Zurück im Hotel schaffe ich sogar das Fenster zu öffnen, auch ohne den Griff und ohne die Scheibe ein zu schlagen. Die Hauptverkehrsstraße nehme ich nur noch in weiter Ferne wahr als ich in einen tiefen Schlaf falle. Lebe ich mein Leben richtig? Ich weiß es nicht. In diesem Moment fühlt es sich jedenfalls verdammt richtig an.   

Stay Professional!


Frozen ist übrigens die Weiterführung von Zerrrroo!

Und ihr dachtet ICH wäre bekloppt?
Das hier gab's im Museumsshop zu kaufen... JA, das sind Malbücher!
NEIN, ich habe sie nicht gekauft!
P.S. Ideen für potentielle Weihnachtsgeschenke an mich
sind hiermit offiziell gegeben.... *hust*



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