Montag, 30. November 2015

Kurztrip nach Hamburg. Oder: Was (große) Freiheit bedeutet

27.-29.11.2015
Bereits im Herbst hatten wir geplant und gebucht, doch dann kam alles anders...
Drei meiner besten Freundinnen und ich wollten einen weihnachtlichen Kurzurlaub unternehmen. Da wir bereits mehrfach die wunderschöne Stadt Hamburg ins Auge gefasst hatten, fiel die Entscheidung leicht. Zwei Nächte wollten wir in der Hansestadt verbringen. Der Zufall spielte mir zudem noch in die Hände, da an diesem Wochenende eine meiner Lieblingsbands dort auftreten sollte. Mit Hundeblick und kleinen Appetithäppchen in Form von Livemitschnitten, konnte ich meine Freundinnen erfreulicherweise schnell davon überzeugen, ebenfalls Tickets für das Konzert zu bestellen. Und so freuten wir uns bereits Monate im Voraus auf den gemeinsamen Trip. 
Doch nur zwei Wochen bevor unser Zug den Kölner Hauptbahnhof verlassen sollte passierte Paris. Dann das abgesagte Fußballspiel in Hannover, eine verdächtige Reisetasche am Hamburger Hauptbahnhof, Ausnahmezustand in Brüssel und eine neckische, kleine Aussage des Innenministers, der uns nichts erzählen wollte, damit wir nicht beunruhigt sind. 
Das Ergebnis war: Wir waren beunruhigt. 
Sollte man in solchen Zeiten wirklich das Schicksal herausfordern, sich in das Getümmel der Weihnachtsmärkte und sogar auf ein Konzert mitten auf der Reeperbahn wagen? Nur zaghaft sprachen wir diese Gedanken aus, doch sie lagen in unseren Mägen wie schwere Steine, die nicht verdaut werden konnten. 
Was tun? Alles absagen oder denen, die uns das Leben schwer machen wollen die Stirn bieten? Wir entschieden uns für die Stirn. 
Wenn man vom Pferd fällt, dann ist das beste Mittel gegen aufkeimende Angst, sich sofort wieder auf den Gaul zu setzen. Wenn man diese Hürde nicht direkt nimmt, dann wird es ganz schwer sich wieder davon zu lösen. So kommt es also, dass wir uns das Feiern nicht verbieten lassen und nun gut gelaunt im Zug nach Hamburg sitzen. 


Mit einem kleinen Picknick für unterwegs verwandel ich den Waggon in einen Speisewagen und gut gekühlter Sekt vertreibt auch die letzten Zweifel. Während wir hierfür stilvolle Plastikbecher nutzen, leerten zwei in Rockerkluft gekleidete Damen, nebenan bereits ihre dritte Dose Bier und prosten uns fröhlich zu. Ihr herzhaftes Lachen klingt als hätten sie zuvor fünf Packungen Marlboro geraucht und anschließend noch den Inhalt des Aschenbechers verzehrt. Die Stimmung im Holzklasse Waggon des Billigzugs ist gut und selbst die Ansagen des Lokführers klingen eher wie die eines Reiseleiters am Busmikrofon der Kaffefahrt ins Glück. Vielleicht sollten die Mitarbeiter der Deutschen Bahn dort mal in die Lehre gehen. 

Die vierstündige Fahrt vergeht wie im Flug. Als wir am Hamburger Hauptbahnhof ankommen ist es bereits dunkel und wir müssen uns sputen um rechtzeitig beim Konzert ein zu treffen. Der Taxifahrer stapelt unser Gepäck liebevoll wie ein Tetrismeister, im Heck des vanillefarbenen PKWs. Sein nordischer Dialekt nimmt mich sofort gefangen. Auf die Aussage meiner Freundin, dass wir mal gucken wollen was Hamburg so zu bieten hat, antwortet er mit trockener Gelassenheit, die nur ein Nordlicht an den Tag legen kann: „Hier? Nö, wir ham hier nix. Am besten fahrt ihr gleich wieder nach Hause.“ 
Machen wir natürlich nicht, und nachdem wir im Hotel eingecheckt haben geht es los in Richtung St. Pauli. Vor dem Eingang zum Mojo Club keimt das mulmige Gefühl dann aber doch wieder auf. Der Club liegt unter der Erde. Zwei große Tore, die sich wie Falltüren aus dem Asphalt erheben geleiten uns in einen ovalen Konzertsaal mit zwei Ebenen. Der Club ist gut besucht und die Gäste lauschen bereits der Vorband „Slydigs“ aus Großbritannien. Ich verstehe zuerst Slide Dicks, begreife aber nach einer ersten Google Suche, dass die Ergebnisse zwar zu St. Pauli, aber nicht zwingend zu Rock and Roll passen... 

Wir stehen auf der Empore, nippen an unserem Jever und beobachten die Leute, die sich fröhlich im Takt der Musik bewegen. Man kann nicht begreifen, dass dies vor kurzem auch in einem Konzertsaal in Paris der Fall war, bevor ein paar Irre, den Saal stürmten und wahllos Menschen töteten. Man will diese Gedanken verdrängen, und doch schieben sie sich immer wieder in unsere Köpfe, wie Werbung auf einem privaten TV Sender. Nur dummerweise kann man nicht umschalten, weil die Fernbedienung kaputt ist. 

Da wir recht spät eingetrudelt sind dauert es nicht mehr lange bis die Hauptband die Bühne betritt. „Vintage Trouble“ sind aus LA angereist um den kleinen Club auf zu mischen. Sie spielen Rhythm-&-Blues und schaffen es mit ihrem charismatischen Frontmann die Menge sofort zu animieren. Bald klatschen und singen auch die Leute auf der Empore mit und einem Mal weicht die Angst einem ganz anderen Gefühl. Sie wird förmlich niedergetrampelt von einer Freude, die ich heute viel intensiver verspüre als bei bisherigen Konzerten. Nach all diesen Gedanken wird mir plötzlich wieder klar, was es bedeutet hier stehen zu können, sich frei zu bewegen, tanzen und laut singen zu dürfen ohne dafür verurteilt zu werden. Wollen wir uns das wirklich nehmen lassen? Ich denke nein, denn wenn dem so wäre, wäre der Raum jetzt kalt und leer und nicht voller fröhlicher Menschen, die im Takt mit klatschen. Und so reihen wir uns mit ein in die Masse der tanzenden Rebellen, die auf diese Weise ihre Freiheit zelebrieren.



Das Konzert ist erfrischend und kurzweilig und hält für mich noch eine kleine Überraschung parat. Die Band selber wartet am Merchandise Stand und so ergattere ich neben einem T-Shirt sogar noch Autogramme, ein Foto mit dem Sänger sowie einen wunderbaren Plausch mit dem äußerst sympathischen Gitarristen. 

V wie Vintage... oder so ...

Obwohl sich die Müdigkeit jetzt doch langsam in unseren Knochen ausbreitet, beschließen wir noch einen finalen Spaziergang über die Reeperbahn zu machen. Hier lässt sich definitiv niemand vom Feiern (und anderen Dingen) abhalten. St. Pauli lebt und der dortige Weihnachtsmarkt hat um kurz vor Mitternacht vermutlich den höchsten Besucherandrang. Wir schieben uns an gemütlichen Holzbuden vorbei aus denen es nach allerlei Köstlichkeiten duftet. Doch St. Pauli wäre nicht St. Pauli, wenn die Schokobananen dort nicht wie Penisse aussähen und die Nikoläuse nicht nur mit Mütze und Sonnenbrille bekleidet wären. 


Wie es im Grüppchen so ist, eine der Freundinnen steuert zielstrebig auf einen der zahlreichen Sexshops zu und wir folgen kichernd, als wären wir plötzlich wieder 14 Jahre alt. Im hinteren Bereich des Ladens komme ich mir dann allerdings wirklich klein und unerfahren vor, denn ich weiß nicht so wirklich ob man die Utensilien dort für’s Bett oder nicht doch eher zum Handwerken braucht. (Und warum klingen ALLE Begriffe, die ich hier einsetzen wollte plötzlich zweideutig? Handarbeit… Innenausbau… Rohr verlegen…Hämmern… Dübeln…Argh)
Einige dieser Instrumente haben eine so komplizierte Gebrauchsanleitung, dass ich mir kaum vorstellen kann, dass diese Sachen mal eben spontan zum Einsatz kommen könnten. Das klingt mir alles viel zu anstrengend und so begebe ich mich zurück zum Eingang wo eine meiner Freundinnen gerade eine kleine Barack Obama Figur mit Hilfe eines Drehrades aufzieht. Als Resultat wedelt sich der amerikanische Präsident einen von der Palme. Ich hoffe im wahren Leben klingt das nicht so wie die knarzenden Zahnräder im inneren des Plastikpüppchens, sonst bräuchte Herr Obama mal ganz dringend einen guten Osteopathen. 
Für den heutigen Tag haben wir genug nackte Haut gesehen und beschließen zurück zum Hotel zu fahren. Dort fallen wir ohne Umschweife ins Schlafkoma. 

Der nächste Tag begrüßt uns mit Regen und einem wolkenverhangenen Himmel. Das Grau in Grau spiegelt sich auch im Gesicht der Frühstücksbedienung des Hotels wieder, die uns so ansieht als wären wir vier höchstpersönlich Schuld an allem Leid dieser Welt, aber vor allen Dingen ihrem eigenen. Doch weder ihre Gesichtsbeerdigung noch das schlechte Wetter halten uns davon ab Pläne für den Tag zu schmieden. Anscheinend wirkt sich unsere positive Grundeinstellung auf den Wettergott aus und als wir in Richtung Speicherstadt schlendern, reißen tatsächlich die Wolken auf. 
Die alten Speicher faszinieren mich immer wieder aufs Neue. Man braucht sie nur an zu sehen und sie erzählen einem sofort Geschichten aus vergangenen Zeiten, in denen hier Kaufleute und Seemänner ein und aus gingen, es nach Gewürzen roch und Händler ihre Waren mit Kränen auf die Schiffe verluden. 

Frau mit Mütze vor der Speicherstadt

Speicherstadt ohne Frau mit Mütze

Von hier aus biegen wir in Richtung Elbe ab, die uns nach einigen Metern zur Elbphilharmonie weiterleitet. Endlich sehe ich das Gebäude, das als eine der größten Steuerverschwendungen unserer Zeit gilt, aus nächster Nähe. Joa… schaut nett aus. Das war’s aber auch. Ob es den Touristen in 150 Jahren ebenfalls eine Geschichte erzählen wird oder bis dahin wieder abgerissen wurde, bleibt ab zu warten.  

In Hamburg regnet es Seifenblasen
Als wir an den Landungsbrücken ankommen hat sich die Sonne endgültig entschieden die Wolken ab zu lösen und so tummeln wir uns zusammen mit zahlreichen Besuchern zwischen den Verkaufsbuden am Ufer und genießen das schöne Wetter. 
Um zurück zum Michel zu kommen machen wir einen erneuten Schlenker über St. Pauli. Zur Mittagszeit ein vollkommen anderer Stadtteil als in der Nacht. Die schillernde Welt ist verschwunden und fleißige Helfer versuchen in Form von alltäglicher Arbeit (Müllabfuhr etc. ) sie wieder für die Nacht zu regenerieren. Am faszinierendsten finde ich, dass der Mojo Club nahezu komplett verschwunden ist. Die Absperrgitter zum Club sind nicht mehr da und selbst der Eingang ist einfach weg. Lediglich ein im Asphalt eingesetztes M, das eher an einen Gullideckel erinnert, gibt einen Hinweis darauf, dass sich unter der Straße der geheime Eingang zu einem Club befindet. 

Der Mojo Club bei Tag

Nach einiger Zeit kommen wir am Hamburger Michel an. Der große, allgegenwärtige, schwarze Turm wird bewacht von der riesigen Statue des Erzengels Michael. Sämtliche Versuche darunter auf die Schnelle ein Selfie zu machen schlagen fehl, da es jedes Mal aussieht als würde er versuchen das Kreuz in seiner linken Hand in meinen Kopf zu rammen. Ich beschließe also mit dem Blödsinn auf zu hören und folge meinen Freundinnen in die Kirche. 



Das Innere der Kirche hebt sich dramatisch vom schwarzen Turm ab. Hier ist alles hell und freundlich, ganz anders als viele katholische Gotteshäuser, die einen mit ihrer dunklen Bauweise trotz meter hoher Decken förmlich erdrücken. Dennoch wird man auch im Michel ehrfürchtig, wenn man sich die utopisch großen Orgelpfeifen der Hauptorgel ansieht. Wenn da der Organist mal aus Versehen einschläft und mit dem Kopf auf die Tasten fällt, dann ist halb Hamburg taub. 
Wir haben Glück und kommen in den Genuss eines kleinen Kinderkonzertes. Die Jungs und Mädchen im Grundschulalter üben für eine Weihnachtsfeier. Noch sind die zum Gesang einstudierten Bewegungen etwas unkoordiniert, aber die Kiddies proben ja noch. Neben mir sitzt ein stolzer Papa, der die Gruppe mit seiner Spiegelreflexkamera ablichtet. Dabei passiert es einmal, dass er vergisst den Blitz ab zu schalten. Eine Aufsichtsperson eilt sofort herbei und ermahnt den Mann mit scharfen Worten: „Bitte falten fie fofort daf Blitflicht auf!“ 
Ich merke wie sich die Freundin neben mir vor Lachen auf die Zunge beißen muss, aber der Aufseher ist selbstbewusst und auch der Sprachfehler hindert ihn nicht daran kurze Zeit später noch einmal die wichtige Ansage, durch die große Lautsprecheranlage zu schicken. „Wir haben jetft gleich ein Kinderkonfert und möchten fie bitten daf Fotografieren fu unterlaffen.“ Armer Kerl. Er kann ja nix dafür, aber es klingt schon irgendwie nach einer Comedy Einlage. 

Nachdem wir noch eine Weile gelauscht haben beschließen wir unseren Weg weiter fort zu setzen. Wir spazieren am „neuen Wall“ entlang, der Straße auf der ein Paar Socken schon ein halbes Monatsgehalt kostet. Hier reihen sich Prada, Gucci und Louis Vuitton aneinander, jedes Geschäft bestückt mit einem adrett gekleideten Concierge direkt hinter der Eingangstür, der betuchten Kunden jeden Wunsch von den Lippen abliest und Trampeln wie mir mit nur einem Blick zu verstehen gibt, dass ich mich wohl in der Hausnummer vertan habe. Obwohl es mich ja schon mal reizen würde dort wie Pretty Woman herein zu staksen, werden meine ausgelatschten Winterstiefel auch heute keinen der samtweichen Teppiche dieser Läden betreten. Dafür geben besagte Stiefel aber bereits jetzt ihr Bestes meine Füße aufs feinste zu malträtieren, so dass ich das Gefühl habe ich laufe nur noch auf Stumpen.



Glücklicherweise erreichen wir kurze Zeit später unser selbsternanntes Ziel: Den historischen Weihnachtsmarkt direkt vor dem geschichtsträchtigen Rathaus. Hier treffen wir auf eine weitere Freundin, die vor Jahren unserer Dorfidylle entflohen und nach Hamburg gezogen ist. Wir begießen das Wiedersehen mit ein paar Glühwein und als sich die Dämmerung langsam über den Markt legt und hunderte von kleinen Lampen erstrahlen, scheint der Alkohol seine Wirkung zu tun, denn plötzlich höre ich von Ferne helle Glöckchen klingeln. Kann das sein? Ist das etwa…? Der entzückte Aufschrei meiner Freundin lässt mich aufhorchen.  „Da ist der Weihnachtsmann!“  ruft sie. Und tatsächlich, nicht nur ich scheine im Alkoholrausch eine Fata Morgana zu sehen, sondern auch alle anderen Besucher. Über unseren Köpfen schwebt auf einmal ein von Plastikrentieren gezogener Schlitten. Na gut, natürlich schwebt er nicht, sondern fährt über ein quer über den Markt gespanntes Drahtseil. Der Moment ist weihnachtlich und berührend, bis auf einmal die versoffene Stimme von Gunter Gabriel durch die Lautsprecher des Marktes poltert und eine Weihnachtsgeschichte vorliest. Plötzlich habe ich nur noch irritierende Bilder aus dem Dschungelcamp vor Augen und wir beschließen, dass es Zeit wird zu gehen. 



Nachdem wir noch eine kurze Shoppingtour hinter uns gebracht haben fahren wir mit dem Taxi ins Schanzenviertel. Ein rustikales Abendessen in der Kult Kneipe mit dem nostalgischen Namen „Omas Apotheke“ wollen wir uns nicht entgehen lassen. Hier geht unser Zweiter Tag in Hamburg zu Ende. 




Am nächsten Morgen geht es mit Sack und Pack zurück zum Hauptbahnhof. Der Zug nach Hause ist leider hoffnungslos überbucht, so dass viele Passagiere im Gang stehen müssen. Zum Glück haben wir Plätze reserviert und können uns entspannt zurücklehnen. Wir lassen die vergangenen Tage noch einmal Revue passieren und sind froh, dass wir diesen Trip trotz aller Bedenken gemacht haben. Die Möglichkeit mal eben von A nach B zu reisen, wir in Deutschland haben sie und wir sollten diese Freiheit vielleicht einfach noch einmal verinnerlichen damit wir sie wieder zu schätzen wissen. In vielen Teilen der Welt ist dies keine Selbstverständlichkeit. Wieder eine Sache, die einem jetzt erst so richtig bewusst wird. 
Als der Zug an der nächsten Station hält, steigt ein junges Mädchen ein. Sie durchkämmt den Gang auf der Suche nach ihrem Sitzplatz und muss erkennen, dass dort eine alte Dame sitzt, die sich leider nicht um eine Reservierung gekümmert hat. Die weißhaarige Frau im Häkelpulli will aufstehen und der rechtmäßigen Besitzerin Platz machen, doch diese sagt: „Nein, bleiben Sie ruhig sitzen. Ich glaube sie brauchen den Platz eher als ich.“ 
Es klingt seltsam, aber diese simple Nettigkeit rührt mich für einen Moment fast zu Tränen. Dennoch, die Dame möchte dem Mädchen nicht den Platz wegnehmen. Ich überlege gerade noch anzubieten, dass wir uns ja sonst mit dem Sitzen abwechseln könnten, da springt ein junger Mann in der Reihe vor uns auf und bietet der Rentnerin seinen Sitz an. Jetzt kann auch sie nicht mehr ablehnen und nimmt mit einem dankbaren Lächeln an. Mein Weltbild ist wieder in Ordnung und ich ärgere mich bis heute, dass ich den beiden nicht gesagt habe, dass ich es richtig toll finde was sie getan haben. Warum habe ich es nicht einfach mal gesagt? Es ist zwar nur eine Kleinigkeit, aber genau diese Kleinigkeiten sind die Basis für ein gutes Zusammenleben untereinander. 

In diesem Sinne: Danke Hamburg und natürlich meinen wunderbaren Mitstreiterinnen für dieses tolle Wochenende und diese wunderschönen Erfahrungen. 

Stay Professional

Dienstag, 10. November 2015

Weekend of Hell. Oder: Warum Romantik im Splatter Genre irgendwie irritierend ist

08.11.2015

Am zweiten Wochenende im November  ist es soweit. In meiner näheren Umgebung finden sage und schreibe drei Conventions statt. Da wäre einmal die Ring Con in Bonn, das Weekend of Horrors in Bottropp  sowie das Weekend of Hell in Oberhausen. Da sich die Ring Con sehr mit den Themen Outlander und Game of Thrones beschäftigt, die (Schande auf mein Haupt!) von mir leider bis heute noch nicht gebührend geschaut/gelesen werden konnten, entscheiden wir (der Ehemann und ich) uns für das Weekend of Hell. 
Und so kommt es, dass ich an einem Sonntagmorgen bereits um sieben Uhr in der Früh im Badezimmer stehe und mit zittrigen Fingern versuche, farbige Kontaktlinsen in meine Augen zu transportieren. Ich bewundere alle Linsenträger, die mit einem beherzten Fingerdruck auf den Augapfel, ihre Sehhilfe einsetzen. Ich hingegen brauche dafür fast eine halbe Stunde und schaffe es, die Linsen dutzende Male ins Waschbecken plumpsen zu lassen. Nachdem das Drama endlich überstanden ist und die Zombie Eyes sitzen, wird der Look ganz von alleine mit blutunterlaufenen Augen vervollständigt. Vielleicht hätte ich vorher die Seifenrückstände aus dem Waschbecken entfernen sollen… 
Dummerweise fällt mir erst jetzt auf, dass meine Schminke „künstlicher Blutschorf“ komplett eingetrocknet ist, weswegen die Maske leider um einen wunderbaren Effekt geschmälert wird. 
Ihr habt es inzwischen sicherlich schon erraten: Da ein Prinzessin Lillifee Kostüm auf solch einer Veranstaltung nicht wirklich passt, verkleide ich mich als Zombie. Aber nicht als irgendeiner, sondern als One broke Zombie Girl (Untote Version von Max aus der Sitcom "two broke girls"). 
Zwei Stunden später bin ich endlich fertig und will dem Look mit einem Spritzer Kunstblut aus der Sprühflasche komplettieren. Zu dumm wenn man die Düse verkehrtherum hält und die ganze Grütze auf dem Badezimmerspiegel landet. Das Bad sieht aus als hätte ein Akne geplagter Teenager eine Pickelausdrückorgie veranstaltet. Leider bleibt aber keine Zeit mehr zum Aufräumen und so darf sich mein Mann jetzt in einem vollkommen verwüsteten Zimmer fertig machen. Er kommentiert das Szenario mit einem aufrichtigen „Bah!“. 


Don't Dead Open Inside?



Auf dem Weg nach Oberhausen versuche ich mich auf dem Beifahrersitz möglichst unauffällig zu verhalten. Schließlich will ich auf der Autobahn keinen Unfall verursachen, indem ich den Leuten auf der rechten Fahrspur freundlich zulächle, weil ich vergessen habe, dass mein Gesicht gerade so aussieht als wäre ein LKW darüber gefahren. Auf dem letzten Drittel der Fahrt muss ich dann etwas meditieren, da meine kleine Mädchen Blase ihrem Namen wieder mal alle Ehre macht. Ein Besuch auf einer Autobahnraststätte in diesem Aufzug, am besten noch genau in dem Moment wenn ein Reisebus mit Rentnern vorfährt, das muss unbedingt vermieden werden. Ich halte tapfer durch, und zum Glück sind wir unter den ersten Gästen und müssen nicht lange anstehen. Nachdem ich die Toiletten der Turbinenhalle in Oberhausen begutachten konnte, machen wir uns jetzt mit dem restlichen Gelände vertraut. 

Das WOH findet in drei aneinander grenzenden Hallen statt. Auch wenn das Areal nicht besonders groß ist, sind die einzelnen Räume doch sehr verwinkelt. Da es leider keinen Lageplan gibt, beschließen wir uns an der Information schlau zu machen. Doch dieses simple Vorhaben lässt mich ernsthaft an der Zukunft der Menschheit zweifeln. Der junge Mann hinter der Theke ist äußerst freundlich, nur wäre er an vermutlich allen anderen Plätzen besser aufgehoben als an der Info. 
Auf die Frage „wo denn die Panels stattfinden“, sieht er uns an als hätten wir gerade ein chinesisches Gedicht aufgesagt. Wir versuchen den Begriff Panel also etwas einfacher zu umschreiben. „Wo ist denn die Bühne auf der die Stargäste Fragen aus dem Publikum beantworten?“  
Ich weise hiermit nochmal darauf hin, dass wir uns gerade an der offiziellen INFORMATION der Veranstaltung befinden. 
Die Antwort des Herrn lautet: „Du, keine Ahnung. Ich kenn mich hier nicht so aus.“  
Während ich mich bereits nach den versteckten Kameras umsehe, höre ich wie in meinem Mann irgendetwas zerbricht. Ich glaube es sind seine Zähne, die er krampfhaft aufeinander beißt. Super Idee jemanden an die Info zu setzen, der keine Ahnung von einer Location hat, die gerade mal aus 3 Hallen besteht und deren Bühne sich, wie wir kurz darauf feststellen, direkt im Raum nebenan befindet. Einen Nichtschwimmer an einem Triathlon teilnehmen zu lassen wäre nicht weniger innovativ. 



Aber genug gelästert. Der Saal in dem die Stars auf uns warten füllt sich bereits gut. Die Schauspieler sitzen dort an Tischen und signieren Fotos, DVD’s oder was auch immer man unterzeichnet haben möchte. Im Gegensatz zur FedCon/RingCon gibt es hier keine feste Autogrammstunde, sondern die Stargäste sind eigentlich die ganze Zeit im Raum präsent, es sei denn sie sind gerade bei einem Fotoshooting, bei einem Panel oder in der Pause. Das Schöne hier ist, dass der Andrang pro Star über den Tag verteilt relativ gering ist, weswegen man die Möglichkeit hat mit dem ein oder anderen einen unbeschwerten Plausch zu halten. 

Sarah Butler von "I spit on your grave"
Robert Maillet, der Riesentyp aus "Sherlock Holmes". Oh mein Gott!!! Der durfte Robert Downey Jr. würgen! :-)

Wir beschließen das Autogrammsammeln auf später zu verschieben und sehen uns das erste Panel des Tages an. Schauspielerin Jennifer Rubin aus dem Film „Nightmare on Elm Street 3 (Dream Warriors)“ stellt sich den Fragen der Besucher. Leider grenzt die Bühne direkt an den Autogrammraum und ist lediglich durch eine Stoffwand von der doch recht lauten Geräuschkulisse des restlichen Saales getrennt. Da helfen leider auch keine Lautsprecher und man versteht in den hinteren Reihen leider nur wenig. Gut geregelt ist allerdings, dass die Schauspieler immer von einem Mitarbeiter des WOH begleitet werden, die das Panel in sehr gutem Englisch leiten und gerne auch mal eingreifen, sollte der Fragesteller nicht die richtige Vokabel parat haben. 

Im Anschluss an das Panel stöbern wir durch die Händlerräume. Das WOH erinnert hier eher an eine DVD Börse, da diese das Hauptangebot darstellen. Es gibt aber auch ein paar T-Shirt Stände sowie die Möglichkeit sich vor Ort tätowieren zu lassen  (Und NEIN, letzteres habe ich nicht in Anspruch genommen!). 
Wenn man als Otto Normalverbraucher über das DVD Angebot blickt, muss man über drei Dinge verfügen. Das ist zum einen eine sehr hohe Toleranzgrenze, eine gehörige Portion schwarzen Humor sowie einen stabilen Magen. Denn ja, wir befinden uns hier auf einer Convention, bei der es nun mal um das Horror Genre geht. Da springen einem an jeder Ecke DVD Cover entgegen, die entweder in einer Fleischerei entstanden sind, oder die besten Rezepte für rote Grütze präsentieren. Mein Blutspray Massaker im Badezimmer ist dagegen ein Witz. 

Ich gebe zu, wir sind da doch eher dem Mainstream zugetan. Wenn Horror, dann so etwas wie „The walking dead“, „Freddy Krüger“, oder nicht ganz ernst gemeinte Komödien wie „Zombieland“. Alles was darüber hinaus geht, ist auch uns zu krass. 
Besonders abgefahren sind z. B. die B-Horror Movies, die sich hauptsächlich mit barbusigen Schönheiten rühmen die von irgendwem oder irgendwas entführt, zerstückelt oder entjungfert werden. Und von japanischen Manga Horror/Pornos möchte ich gar nicht erst anfangen. Ergo: Ich habe Dinge gesehen, die ich mir jetzt immer noch am liebsten aus dem Kopf dreschen möchte. Dazu gehört z.B. auch das Panel von Schauspieler „Dieter Laser“ (deutsch ausgesprochen). 
Freuuuunde…! Also, wie soll ich sagen... Horrorschauspieler sind eine Klasse für sich, … Porno Darsteller wahrscheinlich auch,… aber Horror-Porno-Darsteller sind so abgedreht, man weiß nicht ob man sich totlachen oder wimmernd irgendwo unter einem Tisch verkriechen soll. 
Tja, was hat dieser Herr Laser (er ist übrigens auch Deutscher), so filmisches geleistet? Nun, er hat bei einer Filmreihe mitgespielt, die so krank war, dass sie überall auf der ganzen Welt und wahrscheinlich auch im kompletten Universum auf dem Index steht. Nein, ich habe keinen dieser Filme gesehen. Und warum ich auch niemals das Bedürfnis haben werde dies zu tun, beschreibt eine nette Besucherin, die ihrer Freundin kurz vor dem Panel eine kleine, pfälzische Inhaltsangabe des Filmes zusammenfasst: 
„Des isch der Dieter Laser. Des isch der wo so en verrückten Arzt g‘spielt hätt, der Menschen entführt und die mit den Mund an den Arsch von en annern Mensch dran nähen tut.“  
Leute, wenn man so etwas hört, helfen auch keine Bilder von süßen, kleinen Hundebabys mehr dieses Kopfkino zu vertreiben. 

Aber Herr Laser preist sein filmisches Machwerk mit solch einer Inbrunst und vor allen Dingen Normalität an (Zitat: „Also meine Kollegin hat eine Bewusstlose gespielt und ich musste sie ficken. Und als ich so auf ihr drauf liege denke ich mir, aus dieser Sequenz werde ich eine wundervoll romantische Szene machen.“), dass das Publikum nicht anders kann als sich vor Lachen den Bauch zu halten… oder schreiend weg zu rennen. Wir halten durch, aber auch nur, weil wir ohnehin die Hälfte des Panels verpasst haben. 

Voll Laser wie du abgehst! 

Wir beschließen uns der Hardcore Seite der Convention etwas zu entziehen und begeben uns auf Autogrammjagt. Mein Mann stellt sich an den Tisch von Schauspieler Michael Madsen, einer Quentin Tarantino Legende ("Kill Bill", "Reservoir Dogs"). Madsens Stimme klingt so als hätte er sich gerade eben noch zwanzig Zigaretten und einen Frühstückswhiskey reingezogen. Leider vermasselt mein Outfit meinem Ehemann eine vernünftige Unterhaltung mit dem Schauspieler, denn der ist immer wieder abgelenkt von der blutüberströmten Kellnerin hinter dem Autogrammjäger. Schließlich bittet er mich zu sich heran und sagt, dass er meine Pupillen besonders abgefahren findet. 
„They are weird and sexy at the same time“ („Sie sehen gleichzeitig seltsam und sexy aus“) sagt er und ich fühle mich ein bisschen geschmeichelt. 

Sexy und Weird ... wer ist wer?


Michael Madsen und Brad Dourif

Neben Madsen sitzt William Baldwin… also einer der ungefähr 3768 Brüder, die ich allesamt nicht auseinander halten kann. Der hier hat auf jeden Fall in „Sliver“ mit Sharon Stone mitgespielt. Nur einen Schritt weiter unterschreibt Brad Douriv (Grimma Schlangenzunge aus „Herr der Ringe“, sowie die Stimme von „Chucky die Mörderpuppe“) Fotos und wiederum daneben unterhält sich David Warner ("Das Omen", "Star Trek", "Doctor Who" etc…) mit einem Fan. 
Etwas abseits sitzt aufgrund des großen Andrangs Tobin Bell. Er hat den Jigsaw aus der bekannten „SAW“ Filmreihe gespielt. Weitere Gäste sind u.A. Tony Todd ("Candymans Fluch") oder Irone Singleton (T-Dog aus "The Walking dead"), sowie diverse Manga-Splatter-Porno-wasweißich-ichwillsmirnichtvorstellen Darstellerinnen. 

Tobin Bell "SAW"

T-Dog von "The walking dead"

Mein Interesse gilt aber zwei weiteren Gästen mit denen ich auch ein Foto mache. Der erste ist Corey Feldman, ein Ex Kinderstar der 80er Jahre, dem wir Mädchen hinterher geschmachtet haben, als wir noch gar nicht wussten was Schmachten eigentlich ist. Er hat u. A. mitgespielt in "Die Goonies", "Stand by me" und "The Lost Boys". 
Leider zieht dieser kleine Mann, der sich erstaunlich gut gehalten hat, eine Tragik hinter sich her, die auch seine äußere Erscheinung (schwarze Sonnenbrille, schwarze Kapuze) wiederspiegelt. Die Kinderstars der 80er sind leider nicht besser weggekommen, als die der Neuzeit. Nur damals hat sich niemand für diese Thematik interessiert. Dies hatte auch zur Folge, dass diverse Filmpartner aus Feldmans Riege heute leider nicht mehr unter uns weilen. Wenn ich Namen wie River Phoenix, Corey Haim oder Jonathan Brandis aufzähle, dann wissen wir alle was mit denen passiert ist. Feldman hat die Zeit mit Narben überstanden und im Panel erzählt er offen darüber, dass er aktuell an einer Dokumentation über diese Zeit arbeitet, die noch einmal darauf hinweisen soll, dass die exzessive Vermarktung von Kinderstars niemals gut endet. Aber ob die Filmindustrie jemals aus diesen Fehlern lernen wird…? 

Corey Feldman und eine komische Kellnerin

Ganz im Gegensatz zu dieser tragischen Geschichte strahlt die positive Energie von Schauspielerin Amanda Bearse durch den kompletten Saal. Sie ist offen, herzlich, lustig, fast immer präsent und verschwindet nicht einmal in einer Pause. 
Wer Amanda Bearse ist? 
Nun, auf dem Weekend of Horrors ist sie, da sie im Film „Fright Night“ mitgespielt hat. Aber wir kennen sie eher als die Emanzen Nachbarin Marcy Darcy aus „Eine schrecklich nette Familie“. Ich muss gestehen, für einen Moment bin ich schon etwas ehrfürchtig als ich vor ihr stehe. Diese Serie läuft heute noch in der x-ten Wiederholung im deutschen TV und der Humor ist immer noch aktuell. Ich kann es immer und immer wieder sehen und muss mich dennoch jedes Mal kaputt lachen. Als sie von den Dreharbeiten mit Christina Applegate, Katey Segal, David Faustino und Ed O’Neill erzählt erwacht in mir an diesem Tag endlich wieder das Fangirl. DAS ist einfach nur Kult! 

Coole Frau und dicker Zombie

Amanda Bearse "Eine schrecklich nette Familie"

Einen Cosplay Contest gibt es an dem Tag übrigens auch, sehr schön moderiert von Frank und Kes vonPuch. Leider gibt es nur sehr wenig Teilnehmer, aber der Zuschauerraum ist brechend voll als diese im Rampenlicht der Bühne stehen. Es ist schön zu sehen, dass auch das Publikum einer Horror Convention den Cosplayern so positiv gegenüber steht. 
Gewinner des Wettbewerbs ist eine kleine "The walking dead" Fangruppe mit einer atemberaubend coolen, 8 jährigen „Michonne“, die ihren Papa als Zombie an der Leine hinter sich herführt. Ihre Oma versichert mir später, dass die Kleine die Serie natürlich noch nicht sehen darf. Ob ein 8 jähriges Kind auf solch einer Veranstaltung aber richtig aufgehoben ist, ist allerdings eine andere Sache. Ich stehe dem doch sehr skeptisch gegenüber. Natürlich sieht sie so, dass hinter den gruseligen Masken alles nette, normale Menschen stecken, aber in so einem kleinen Köpfchen wachsen ja dennoch manchmal ein paar Gedanken heran, die wir Erwachsenen uns gar nicht mehr vorstellen können. Ich selber würde daher eher dafür plädieren, dass auf solch eine Veranstaltung nur Gäste ab 18 Jahren gelassen werden. 

Mini Michonne und Ash aus der Haushaltswarenabteilung
Als sich das Tageslicht sich in Form eines blutroten Sonnenunterganges verabschiedet, machen auch wir uns auf den Heimweg. Zu Hause angekommen schaffe ich es tatsächlich die Linsen zu entfernen ohne dabei zu erblinden. Allerdings merke ich auch, dass es eine äußerst dumme Idee war den „künstlichen Schorf“ mit Hilfe von Flüssiglatex und roter Farbe zu imitieren. Das Zeug geht nur nach einem Extrempeeling wieder ab, was zur Folge hat, dass ich die kommende Woche erst mal keinen Schorf mehr künstlich erschaffen muss. Aua! 
In diesem Sinne!

Stay Professional!

Huibuh!