Sonntag, 20. September 2015

Schlaraffenland. Oder: Warum es manchmal gut ist, wenn ein Plan nicht funktioniert







11.08.2015 Teil 1
Vorbereitung ist alles! 
Das meine ich ernst. Nichts ist frustrierender als irgendwo über eine langweilige Hauptverkehrsstraße zu latschen, weil man gerade mal wieder keine Ahnung hat wo man eigentlich ist. Aus diesem Grund habe ich meinen London Aufenthalt auch akribisch geplant. Naja… bis auf den heutigen Tag. 
Am Vormittag gönne ich mir etwas Erholung und koste die Zeit im Bett so lange wie möglich aus. Die halbe Nacht bin ich trotz lähmender Müdigkeit hochgeschreckt, weil ich dachte das Hotel brennt gerade ab. Der tatsächliche Grund ist allerdings, dass auf der Kreuzung vor meinem Zimmer halbstündlich ein Rettungswagen vorbei donnert. Die britischen Sirenen klingen wie polyphone Klingeltöne auf Speed und tragen nicht unbedingt zur erholsamen Nachtruhe bei. Mein Gehirn muss sich erst einmal wieder an die Abspaltung zu unseren deutschen Trethupen gewöhnen. Bitte nicht falsch verstehen, das Hotel mag gemäß der von mir vermittelten Eindrücke wie eine Katastrophe erscheinen, aber es ist bereits das zweite Mal, dass ich hier Urlaub mache und ich würde es auch immer wieder buchen. 
Warum? Nun, es hat zwar so seine kleinen Macken, aber es ist sauber, die Matratzen verwandeln sich nicht in Hängematten sobald man darin liegt, das London Eye steht nur zwei Straßen weiter und für diese zentrale Lage ist es verdammt günstig. 
Muss man für andere Hotels in dieser Lage erst einmal sein gesamtes Hab und Gut verpfänden, kommt man hier halbwegs über die Runden ohne sich für den Rest seines Lebens zu verschulden. Ja, London ist teuer. Das will ich nicht beschönigen. Zwei Wochen all inclusive Urlaub am Mittelmeer oder vier Tage smogverseuchte Großstadt. Ihr habt die Wahl. 
Das meine Entscheidung wieder einmal auf zweites gefallen ist, zeigt aber auch, wie toll diese Stadt ist. Während des Frühstücks habe ich einen Geistesblitz. Wenn ich schon diverse Theaterbesuche in London wahrnehme, warum dann nicht auch endlich mal das Shakespeare Globe Theatre besichtigen (Leider ist dies nicht mehr das ursprüngliche Theater, aber ein originalgetreuer Nachbau.) 
Ich schnappe mir also meinen Faltplan und ziehe wieder los. 
Die U-Bahn Station liegt direkt gegenüber vom Hotel und so bin ich innerhalb kürzester Zeit an der Station „London Bridge“ angekommen. Aber wie geht es jetzt weiter? Einer der vielen Gründe warum ich mich so gut auf Reisen vorbereiten muss ist der, dass ich Stadtpläne grundsätzlich verkehrt herum halte. Und so laufe ich erst einmal in die falsche Richtung. Innerlich weiß ich meist sogar schon, dass da irgendwas nicht stimmen kann, aber mein Ego übertönt jedes Mal meine Intuition und die Leidtragenden dieses Streits sind dann meine Füße. 
Als Resultat latsche ich zwei Mal durch die Menschenmassen, die sich vor der U-Bahn Station drängen und von dort aus in alle Himmelsrichtungen verteilen. Aber auch auf der anderen Straßenseite ist dann kein Weiterkommen in Sicht. Ab hier geht es nur noch quer über die Themse, aber da will ich doch eigentlich gar nicht hin? 
Ich stopfe die Straßenkarte in meine Hosentasche und beschließe auf eigenen Faust einen Weg zu finden. Ich muss nur irgendwie ans Ufer kommen, dann müsste der Rest ein Kinderspiel sein. 
Als ich von der Brücke aus nach unten schaue entdecken meine Augen eine Oase in Mitten der Menschenmassen. Ein kleines Cafe hat in einem Innenhof jede Menge gemütliche Sofas, Hängematten und Liegestühle aufgebaut auf denen die Gäste die Sonne genießen. Kaum einer, der in der hektischen Masse auf der Brücke gefangen ist nimmt diese versteckte Idylle wahr. Meine Neugierde ist geweckt. Ich laufe noch ein Stück an der Brücke entlang und finde eine winzige Steintreppe, die zu dem Cafe führt. Auch hier knubbeln sich noch die Menschen, aber je weiter man hinunter geht, desto ruhiger wird es. Der Lärm der Autos verblasst auf einmal und wie Alice im Wunderland, steige ich ab in eine vollkommen andere Welt. Erst als ich unten angekommen bin verstehe ich, dass dieses Cafe erst der Anfang eines Milieus ist, das mich sofort in seinen Bann zieht. Ein freundlicher Bann, voller lachender Menschen, Musik und Gerüchen, die mich wie in Watte einbetten und durch eine weitere, schmale Gasse tragen. Links von mir sind kleine Alkoven in die Brückenwand eingebettet. In jeder Bucht befindet sich eine Imbissbude. Aber nicht der übliche Fast Food Kram. An der einen Ecke bereitet ein Mann in einer riesigen gusseisernen Pfanne, frische Paella zu. Er lacht und tanzt dabei zu brasilianischen Klängen. In der nächsten steht ein Marokkaner und brät verlockend riechende Teigtaschen. Vor den einzelnen Alkoven sitzen die Gäste. Bunt gemischt, jeder nimmt einfach irgendwo Platz. Und dieser Platz besteht nicht aus normalen Bänken, sondern aus praktisch aufeinander gestapelten Getränkekisten oder Fässern. Ich lasse mich weiter treiben und werde durch die kleine Gasse bis zu einem größeren Platz geschleust. Jetzt stehe ich genau unter der Hauptstraße. Von weitem kann man die Autos über sich dröhnen hören, aber es ist ein entferntes, unaufdringliches Geräusch. Vor mir erstrecken sich unzählige kleine Buden und Stände. Dazu verträumte Hütten, die aussehen als wären sie direkt der viktorianischen Zeit entsprungen. 
Die Weite der Unterführung entzerrt den Menschenstrom und so herrscht hier ein idyllisches Treiben rund um die Verkaufsstände. Als ich nach oben sehe verstehe ich endlich wo ich bin. 
„Borough Market“ sagt ein Schild. Natürlich! Ein Ort, der mir schon so oft empfohlen wurde und dessen Name mein löchriges Gehirn andauernd vergessen hatte. 


Aaaach! Da war doch wat gewesen!

Plötzlich steigt mir das verlockendste Aroma aller Zeiten in die Nase. Eigentlich ist es nicht nur ein Geruch, sondern eine Mischung aus unzähligen Düften, Gewürzen, Getränken und Süßspeisen, denn auf dem Borough Market gibt es ausschließlich Nahrungsmittel zu kaufen. Frisch zubereitet, verlockend präsentiert und mit kostenlosen Probierhäppchen an jeder Theke. Ich wollte zu Shakespeare, aber gelandet bin ich im Schlaraffenland. 
Es gibt Käse, Joghurt aus Biomilch, Gewürze, frischen Fisch, Muffins, Kekse, Törtchen, klassische britische Pies, Obst, frisch gepresste Säfte sowie allerlei exotische Speisen. Suppe aus Thailand, Kichererbsenbrei aus Äthiopien, Currys aus Indien, schwedische Haferkekse und ganz besonders exotisch: Die original, deftige Nürnberger Rostbratwurst. Für einen Moment bin ich tatsächlich etwas stolz, denn in der Tat gibt es eine Sache, die die Engländer überhaupt nicht hin bekommen: Eine vernünftige Grillwurst! 

Verkaufsstand: Zum exotischen Deutschen
Unter der Brücke


Ich will das haben!


Und das auch!


Und das erst recht!


Das nicht so unbedingt (mit Fleisch gefüllte Pies)


Vegetarische Spezialitäten! 

Ich kann nicht anders als jeden einzelnen Stand zu begutachten und all die unterschiedlichen Aromen zu inhalieren. Mein Magen und meine Geschmacksknospen schreien inzwischen wie ein quengelndes Kind, das sich vor der Supermarktkasse auf den Boden geworfen hat. Kauf mir das! Kauf mir das! Ich will das essen! Und das essen! Und das hier auch noch! 
Doch wie so oft: Ist die Auswahl zu groß, verliert man irgendwann den Überblick und entscheidet sich letztendlich für gar nichts. So taumle ich einfach weiter, getragen auf der Welle der Eindrücke und vergesse immer mehr die Zeit. Immer wieder finde ich kleine Gassen, die vom Geschehen abgehen und mich zu verträumten Hinterhöfen lotsen. Es ist wie eine Schatzsuche und ich möchte keinen einzigen der verborgenen Edelsteine Londons verpassen. 

Hinterhofkunst. Da wird man wenigstens nicht nass.

Es hat einen Vorteil, wenn man alleine unterwegs ist. Leider kann man das Erlebte nicht mit jemandem Teilen und sofort besprechen, aber so ist man vollkommen auf die Eindrücke fixiert, wird von nichts abgelenkt und kann sie aufsaugen wie ein durstiges Tuch. 
Erst nach einer ganzen Weile merke ich, dass nicht nur mein Geist durstig ist, sondern auch meine Kehle. Seit dem Frühstück sind bereits einige Stunden vergangen und ich habe in der ganzen Zeit noch nicht einen Schluck getrunken. Zudem muss ich die Uhr im Auge behalten, denn heute Abend steht das nächste Theaterstück an. Ich beschließe also endlich eine Pause zu machen und entscheide mich für einen kleinen Snack am äthiopischen Stand. Meine Wahl fällt auf ein vegetarisches Ensemble, farbenfroh angerichtet von der Verkäuferin. Alleine beim Anblick läuft mir bereits das Wasser im Mund zusammen. Das Essen hält was es verspricht und wenn es nicht so dämlich aussehen würde, würde ich am liebsten den Imbisskarton auslecken. 




Sieht komisch aus, war aber VERDAMMT lecker!


Meine Mahlzeit nehme ich auf einem kleinen Mauervorsprung an einem Seitenarm der Themse ein. Hinter mir parkt ein riesiges Segelschiff. Ein originaler Nachbau des Schiffs auf dem Sir Francis Drake als erster Engländer die Welt umsegelt hat. Und dann fällt mir plötzlich wieder ein warum ich überhaupt hier gelandet bin! Shakespeares Globe. 
Als ich meine Karte zücke merke ich, dass ich meinem Ziel bereits viel näher bin als gedacht. Nur ein paar hundert Meter weiter lande ich am Ufer und dort, im weißen Fachwerkstil, erstrahlt das Theater. In Mitten von modernen Gebäuden steht es hier wie ein Fels in der Brandung. Als hätte jemand ein Stück aus dem alten London geschnitten und in der heutigen Zeit wieder eingeklebt. Endlich. Voller Vorfreude steuere ich auf den Eingang zu und… laufe vor die geschlossene Tür. Hinter mir höre ich, wie ein Tourist Guide einer Gruppe von Akne geplagten Teenagern erklärt, dass das Theater nur Vormittags besichtigt werden kann. Die Teenager scheint das herzlich wenig zu interessieren. Mich schon. Der Kirchturm nebenan schlägt drei Uhr Nachmittag. Mist. 
Wie ich schon sagte, Vorbereitung ist alles. Aber andererseits, wäre ich mit ihr jemals im Schlaraffenland gelandet? Ich glaube nicht. ;-)


Stay Professional


Shakespeares Globe Theater am Ufer der Themse


Chewbaccas Stammkneipe?


Hmmmm Tapas oder London... ? Schwere Entscheidung



Pausenselfie



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