Samstag, 2. April 2016

The Voice of Germany. Oder: Sch... die Wand an, sind die gut!

Dieser Text enthält einige Geständnisse. 
Das erste Geständnis ist: Ja, ich habe mich bei „The Voice of Germany“ beworben. 
Das zweite Geständnis ist: Nein, nicht zum ersten Mal. 
Und das Resultat dieser ganzen Aktion ist: Nein, ich habe heute leider kein Foto bekommen (Ach nee. Moment. Falsches TV Format). 
Wem diese drei Dinge als Information schon reichen, der kann nun getrost aufhören zu lesen. 
Ehrlich! 
Gehen Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen, gehen Sie nicht über Los, ziehen sie keine 2000 Mark ein. 
...
...
Was? 
Ihr lest immer noch? 
Was stimmt mit euch nicht? 
Ich bin nicht weiter, ich schwöre, das ist keine Übung. Kein Aprilscherz. Just in diesem Moment sitze ich in meinem Ringelschlafanzug an meinem PC und nicht in einer goldenen Stechlimousine, die mich von einem roten Teppich zum nächsten karrt. 
„A Star is born!“. Vier Worte, die auf mich nicht zutreffen. Viel mehr „A schwarzes Loch is hiding behind a dicke Wolkendecke!“ Aber soll ich euch mal was sagen? Ich hab heute nen Rapper kennengelernt und hatte eine Gänsehaut in der Größe des Himalayas. Und zwar nur wegen… ach, ich fange besser von vorne an. 

Wie läuft so ein Casting eigentlich ab? 
Nun, da gibt es unterschiedliche TV Formate. 
Bei DSDS sucht man die Leute raus, die am besten nicht bis 10 zählen können, aber mit einem herausragenden Balkon bzw. Waschbrettbauch ausgestattet sind. 
Glaubt ihr nicht? 
 Hier kommt Geständnis Nr. Drei: Ja, ich habe mich vor 100 Jahren bei der ersten Staffel von DSDS beworben. 
Das Casting lief wie folgt ab: Wir wurden alle zusammen in einen unbelüfteten Raum ohne Stühle gepfercht. Dann ging irgendein Anzugträger mit zurück gegeelten Haaren durch den Raum, gefolgt von zwei Damen, die sich eifrig Notizen machten. Der Talentscout entdeckte sofort welcher Bewerber / welche Bewerberin wohl eine super Stimme hat. Und dieser Mann muss es echt drauf haben, denn er konnte dies nur anhand der Form des jeweiligen Resonanzkörpers erkennen. Alle die nicht der körperlichen Norm für DSDS Kandidaten entsprachen wurden sofort aussortiert und kamen in den Pool: „Langweilige Normalos, mit denen RTL keine Quote machen kann.“ 
Tja, ich landete im Langweiler Pool und rede mir jetzt einfach mal ein, dass es daran lag, dass ich bis 11 zählen kann. 

ABER es gibt auch gute Castings und da muss ich für „The Voice“ einfach mal eine Lanze brechen. Im Jahre 2013 war ich für eine Filmpremiere nach Berlin gereist und am gleichen Wochenende fanden dort auch die „The Voice“ Castings statt. Also versuchte ich dort mein Glück. Die Mitarbeiter waren wahnsinnig freundlich. Man musste nicht lange warten und wurde umgehend ins Pre-Scouting gerufen. (Pre-Scouting bedeutet, dass man die Möglichkeit hat ganz kurz A Kapella, eine Strophe vor zu tragen und so zu überzeugen). 
 Nun muss ich allerdings sagen, dass ich damals doch recht naiv war und mich nicht richtig vorbereitet hatte. Ich hatte kaum geübt und ja, für diese Aktion gehören mir heute immer noch die Ohren lang gezogen. Umso überraschter war ich, als ich vor ein paar Monaten plötzlich eine Mail vom "The Voice" Team erhielt. Man fragte warum ich die letzten beiden Jahre nicht zum Casting gekommen wäre, und dass man doch noch großes Interesse an mir hätte. Ich dachte erst, irgendjemand würde mich verarschen, aber die Redakteurin schrieb mich erneut an und ermutigte mich, obwohl ich erst einmal einen Rückzieher machte. 
 Tja, und so stand ich heute Nachmittag letztendlich doch vor einem Hotel in Köln und wartete auf meine Chance. Diesmal auch ordentlich vorbereitet. 
Damit mich keiner erkennt bin ich mal lieber inkognito hin gegangen. Dummerweise sind mir dann ein paar komische Äste aus dem Kopf gewachsen und das sah dann auch irgendwie Scheiße aus. 

Als ich vor dem Hotel stehe, rutscht mir dann aber doch das Herz in die Hose. Vor dem Eingang spielen sich Szenen ab, die man aus jeder Casting TV Show kennt. Kleine Mädchen brechen in Tränen aus, werden von Mama oder dem Freund in den Arm genommen und nach Hause begleitet. 
 In dem Moment begreife ich was „The Voice“ tatsächlich bedeutet. Das ist nicht der Gesang, sondern die Stimme in meinem Kopf die sich überschlägt und mich anbrüllt: „Was willst du hier? Sieh zu, dass du Land gewinnst!“ 
 Je näher ich dem Foyer komme, desto mehr zieht mich irgendeine imaginäre Kraft an meiner Jacke wieder Richtung Ausgang. Nein, ich gehöre hier definitiv nicht hin. 
 Zwischen vielen Möchtegern Sängern/Sängerinnen und einigen unüberhörbar, beeindruckenden Talenten klafft eine wirklich große Kluft. Und in dieser Kluft sitze ich. 
Ein Mädel vom Lande, Sängerin in einer Garagenband und einer bestimmt nicht ganz so üblen Stimme. Aber der Weg zur anderen Seite der Schlucht ist so unglaublich steil, und ich doch so schrecklich unsportlich. 
 Im Foyer tummeln sich dutzende Bewerber. Das wird wohl länger dauern. Doch wieder überrascht mich das Team. Man begrüßt mich mit den Worten, dass ich schon erwartet werde und mich nicht mehr anstellen muss. Ich wandere schnurstracks an den Pre-Auditions vorbei und werde ohne Umweg in die nächste Casting Stufe gepackt. Ein Moment, der sich anfühlt als hätte man mich von oben bis unten mit warmem Honig übergossen. 
Wow! Heißt also, dass ich wohl doch nicht sooo scheiße singe! 

 Die nächste Stufe beinhaltet das Singen vor einer etwas hochkarätigeren Jury. Diesmal mit Mikrofon und Musik. 
Wir sind eine kleine Gruppe von 6 Leuten. Ich stelle schnell fest, dass ich doch ein klein wenig älter als meine Mitstreiter bin. Ok, ich könnte quasi die Mutter meiner Konkurrenten sein. Ich rede mir ein, dass ich dafür mehr Erfahrung habe und den Rest der Bande problemlos ausstechen kann. Wie sehr ich mich da doch täuschen sollte. 
 Neben mir sitzt ein rotwangiger Typ mit Baggy Hose und einer Kappe, die gerade mal mit dem Rand auf seinem Haupthaar aufliegt. Dieser Anblick reizt mein innerliches Verlangen, ihm das Ding einfach so aus Spaß herunter zu pusten. Mach ich natürlich nicht. Der arme Kerl ist mindestens genauso nervös wie ich und verwickelt mich schließlich in ein Gespräch. 
 Naja, mit Gespräch meine ich einen Monolog ohne Punkt und Komma. Ich bin sicher er heißt entweder Dennis oder Kevin. Jedenfalls erzählt er mir, dass er Rapper ist und auf dem aktuellen Album von Pietro Lombardi mitgerappt hat. Und dass das Album ja auf Platz 1 in den Charts ist und dass er auch auf Facebook ist und dass er da voll viele Follower hat und dass er wahrscheinlich wegen der Lombardi Sache vom „The Voice“ Team angesprochen wurde und dass das Album ja auf Platz 1 in den Charts war (was er anschließen noch ungefähr zehn Mal erwähnt). 
 Ich entnehme seinem leicht erhitzten Gesicht, dass er nach diesen äußerst wertvollen Informationen jetzt die Frage nach seinem Namen erwartet. Doch als ich endlich zu Wort komme quittiere ich ihm nur freundlich: „Das ist aber toll.“ 
 Dann widme ich mich meinem Handy und chatte mit einer Bekannten auf Facebook. (Ja, ich weiß. Ich bin ein Arsch).
 Der junge Mann wird dadurch noch nervöser und erzählt die KOMPLETTE Story noch einmal meiner Sitznachbarin (die meines Erachtens vorher nicht mit zugehaltenen Ohren neben uns gesessen hat und somit jetzt bestimmt was gaaaanz Neues erfährt). 
 Der Facebook Chat beruhigt mich und lenkt mich von den Geschehnissen neben mir ab. Meine Bekannte sitzt ebenfalls irgendwo hier in diesen Räumlichkeiten und wartet auf ihr Vorsingen. Es tut gut sich mit ihr aus zu tauschen. 

 Nach einer Weile werden wir gemeinsam zur Jury gebeten. Als der erste Kandidat vortritt, lehne ich mich siegessicher auf dem Stuhl zurück. Die Halbstarken werde ich doch mit Links in die Tasche stecken. 
 Ein kleiner, pummeliger Junge von gerade mal 16 Jahren setzt sich an ein E-Piano und räuspert sich. 
Na, jetzt bin ich ja mal gespannt. 
Als er den ersten Ton singt, werde ich von einer steinharten Faust, gnadenlos und mit voller Wucht mitten ins Gesicht getroffen. 
MEIN LIEBER HERR GESANGSVEREIN! 
Noch nie hat dieser abgedroschene Spruch besser gepasst. 
Wie kommt so ein unscheinbarer Junge zu solch einer unfassbar rauen und atemberaubenden Stimme? Ich bin sofort hin und weg und verdammt, wenn der nicht weiter kommt, dann brenne ich die ganze Hütte hier vor lauter Empörung ab. 
 Das Casting entwickelt sich zu einem Konzert bei dem ich plötzlich nur noch zuhören und genießen möchte. Er darf sogar noch einen zweiten Song singen und diesmal versucht er sich an einer Ballade von Andreas Gabalier. Ich hasse diese Art von Musik, ich kann Gabalier nicht ausstehen und doch schafft es dieser 16 Jährige, mir mit seiner Stimme die Tränen in die Augen zu treiben. Das ist der Moment in dem ich begreife, dass es für mich unmöglich sein wird die Schlucht zu erklimmen, die dieser junge Mann mit Leichtigkeit meistert. Ausgerechnet  in dem Moment als der Klos in meinem Hals so angeschwollen ist, dass ich kaum noch schlucken kann, werde ich aufgerufen. 
Ja, ich gebe mein Bestes und ja, ich behaupte mal dass ich nicht schlecht bin, aber ich weiß, dass ich nicht ansatzweise mit den anderen Kandidaten im Raum mithalten kann. Ich bin froh als ich es endlich hinter mir habe und spüre wie die ganze Anspannung von meinen Schultern abfällt. Die Kandidaten nach mir reihen sich ein in die Riege der Talente, die mich spielend abhängen. 
Selbst Kevin… Dennis… wat weiß ich, beweist, dass er wirklich rappen kann!
 Nach kurzer Zeit bekomme ich dann das erwartete Ergebnis mitgeteilt. 
Hoecker Sie sind raus! 
Aber man sagt es mir freundlich, motivierend und respektvoll. Nicht zu vergleichen mit der abscheulichen Dieter Bohlen Art, die nur darauf aus ist Quote mit heulenden Teenagern zu erwirtschaften. Die Leute von "The Voice" sind klasse, das muss ich hier einfach mal lobend anerkennen. 
 Als ich nach zwei Stunden wieder vor die Tür trete, atme ich tief ein und fühle mich erleichtert. Weg ist der Zwang und die Angst. Endlich kann ich wieder im Auto singen ohne auf genaue Töne zu achten, ohne mir den Text merken zu müssen, ohne mir aus zu malen was wäre wenn. Einfach nur singen und dabei frei sein. 

Setzen, Sechs!
Das Bild entstand übrigens nach dem Casting im schönen Ehrenfeld.
Da ist es wirklich schön! ... Ehrlich!

 Draußen treffe ich auf meine Bekannte. Sie hat es auch nicht geschafft, ist aber keinesfalls traurig sondern sieht das Ganze mehr als Probe an. Sie will es nächstes Jahr noch einmal versuchen. Ein Plan den ich allerdings momentan nicht ins Auge fassen möchte. Es gibt auf dieser Welt einfach so viele Talente, ich habe sie erlebt und sie haben es so sehr verdient. 
Ich bin gespannt. Der Gabalier Junge… ich wette darauf, dass wir ihn in den kommenden Blind Auditions im TV wiedersehen werden. Wer wettet mit?

Bis dahin: 
Stay Professional 

Ok. Kleines, cremiges Trostpflaster muss sein. 

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