10.04.16
Heute ist der
zweite Tag der Fantasy Filmfest Nights.
Diesmal wird uns ein Film mit dem
britischen Sahnehäubchen Tom Hiddleston serviert.
Aus gegebenem Anlass hat der
Ehemann beschlossen seine Eintrittskarte lieber jemand anderem zu überlassen.
Ich vermute er hat das „Crimson Peak“ Trauma vom letzten Jahr noch nicht
überwunden (Siehe Eintrag vom 15.10.2015). Dabei habe ich mich doch so zusammen
gerissen. Kein entzücktes Quietschen während des Films und den Sabber hab ich
nach der Vorstellung auch ganz ordentlich aufgewischt.
Als ich in Köln
eintreffe ist der Media Park ungewöhnlich leer, obwohl die Sonne scheint
und den abendlichen Himmel mit einem Hauch von goldener Seide überzieht. Die
Luft schmeckt nach Frühling und man spürt, dass die Winterkleidung langsam
eingemottet werden kann.
Doch über der Stadt liegt eine seltsame Stimmung. Ein
lautes Summen schallt zwischen den Häuserwänden. Mein Blick richtet sich nach
oben, doch ich kann nicht sehen woher dieses Geräusch kommt. Erst als ich auf
den großen Platz vor dem Mediaturm ankomme erkenne ich, wie ein paar
Häuserblocks weiter ein Polizeihubschrauber über der Stadt steht.
Die
Rotorblätter halten ihn in der Luft und doch schwebt er auf ein und derselben
Stelle, wie ein Kolibri, der Nektar aus einer Blüte saugt. Er beobachtet die Geschehnisse direkt unter ihm.
Ein Blick auf mein Smartphone verrät mir, was
sich nur wenige Straßen weiter abspielt. Eine Kurden Demonstration ist
eskaliert. Die Polizei muss Pfefferspray gegen Demonstranten und ihre Gegner
einsetzen. Die Situation gerät außer Kontrolle.
Gleichzeitig marschieren nur
wenige Meter weiter, jede Menge, grölende Fußballfans auf, die umgeleitet
werden müssen um nicht auf Fans der anderen Mannschaft oder Kurden, oder
Gegendemonstranten zu treffen.
Trotz der Sonne fröstelt es mich plötzlich. Ich
tauche ein in den Schatten des großen Mediaturms. Dann beschleunige ich meine
Schritte. Besser ins Kino, besser flüchten aus der Realität, die für mich in
diesen Tagen so surreal wie ein Gemälde von Salvador Dali wirkt.
Und ich denk mir noch: Wäre cool, wenn du jetzt ein Foto von nem Hochhaus für deinen Blog schießen könntest. Zum Glück hatte der Mediapark gerade ein Häuschen auf Lager. |
Im wunderschönen Residenz
Kino angekommen, lehne ich mich entspannt im bequemen Ledersessel zurück. Meine
Füße betten sich auf einem gepolsterten Hocker. Nobler kann man einen Kinoabend
nicht bestreiten.
Der Hauptfilm wird kurz vom Moderator vorgestellt und
wir werden davor gewarnt, dass Tom Hiddleston die Hälfte der Zeit über nackt sein
wird. Dies ist der Moment in dem der Ehemann aus irgendwelchen Gründen zu Hause
ein Zeichen des Himmels zugesandt bekommt und sich mysteriöserweise dreimal bekreuzigt… naja, so stelle ich es mir jedenfalls vor.
Ich sinke noch tiefer in meinen Sessel und spüre wie sich meine Gesichtsmuskeln
bereits nach kürzester Zeit verkrampfen. Das liegt an meinem Dauergrinsen, denn
der Moderator hatte recht.
Ooooh ja!
Ooooh ja!
Aber gut, wischen wir den voyeuristischen
Aspekt mal für einen Moment beiseite und widmen wir uns der Story (auch wenn
ich zugeben muss, dass die überdurchschnittlich häufigen Duschszenen des
Protagonisten nicht wirklich dazu beitragen die Konzentration aufrecht zu
erhalten).
„High Rise“ basiert auf dem gleichnamigen Roman von J.G. Ballard, der in den 80er Jahren einige
Science Fiction Romane lieferte, die verrückte, aber irgendwie erschreckend logische
Zukunftsvisionen beschrieben. Die Betoninsel z.B. handelt von einem Autounfall
auf einem Kreisverkehr, der so riesengroß und verbaut ist, dass der Verunfallte
nicht mehr von nach Hause findet und dort sogar eine eigene Zivilisation antrifft.
In „High Rise“ zieht Protagonist Dr.
Robert Laing (Tom Hiddleston) in ein nagelneues, riesengroßes Hochhaus. Dieser
Komplex funktioniert komplett autark. Es gibt dort ein Schwimmbad, eine Schule,
einen Supermarkt, ein Fitnessstudio etc. Je länger Laing sich dort aufhält,
desto mehr fühlt er sich in der abgeschotteten, eigenen Welt des Hochhauses
wohl. Die Gesellschaft außerhalb der Betonwände macht ihm mehr und mehr Angst. Er
bekommt Panikattacken, zieht sich aus der Außenwelt zurück und lebt bald nur
noch hinter den Türen des „High Rise“.
Aber nicht nur ihm scheint es
so zu gehen. Die Bewohner der verschiedenen Stockwerke bilden mehr und mehr
eine Parallelgesellschaft zur Außenwelt.
In den unteren Etagen leben die Menschen
mit dem geringsten Einkommen. Hier gibt es viele Kinder, ziemlichen Trubel, lautstarke Ehekrisen und wilde Partys.
In den mittleren Etagen lebt die Mittelschicht. Sie
fügt sich relativ widerstandslos in die Gesellschaft mit ein, genauso wie Robert
Laing. Und ganz oben, im Penthouse, wohnt der Wohlstand. Der Architekt des
Gebäudes (wunderbar porträtiert von Jeremy Irons) hat sich sogar einen
riesigen, grünen Garten auf dem Dach geschaffen.
Der Ärger beginnt als es in
den unteren Etagen zu ersten Stromausfällen kommt. Das System ist überlastet,
die Müllschächte schaffen es nicht mehr mit den Massen klar zu kommen, es gibt
nur noch selten fließendes Wasser.
Die Unterschicht protestiert, wird
aber von der Oberschicht immer wieder in ihre Schranken gewiesen. Und so dauert
es nicht mehr lange bis eine Revolte entsteht, die einen blutigen Feldzug,
angeführt von Richard Wilder (Luke Evans) durch das Hochhaus nach sich zieht.
Ok. So weit so gut.
Jetzt kommt die Krux!
Ich habe den Roman vor einem Jahr
gelesen. J.G. Ballard treibt es in der Beschreibung des Aufstandes und Verfalls
der Gesellschaft mit all ihren erschreckenden Abgründen so sehr auf die Spitze,
dass man nach der Hälfte des Romans schon am liebsten aus dem Hochhausleben
flüchten möchte. Man hofft immer noch darauf, dass sich doch noch alles zum
Guten wendet und wird, ohne dass man es merkt, selber zum Protagonisten.
Nämlich bei der Frage: Warum zum Teufel erkennen die Bewohner des „High Rise“
nicht, in was für Bürgerkriegszuständen sie plötzlich leben? Warum
verlassen sie nicht einfach das Gebäude? Warum klappt man als Leser nicht
einfach das Buch zu und verlässt selber den magenzerfressenden Alptraum aus Vandalismus,
sexuellen Übergriffen, Orgien, Drogen, Frauenfeindlichkeit, Tierquälerei und Gewalt?
Irgendwie hatte ich gehofft, dass die Verfilmung hier etwas schonender mit dem
Zuschauer umgeht, etwas massentauglicher agiert.
Wenn „High Rise“ eines richtig
macht, dann ist es den Roman verdammt gut zu adaptieren.
Auch im Kino wünsche
ich mir ab der Mitte des Filmes endlich ein Ende des Alptraums. Ich möchte
fliehen aus dieser düsteren Zukunftsvision.
Warum quält mich diese fiktive Hochhaus
Gesellschaft so?
Liegt es vielleicht daran, dass ich ganz im Verborgenen
hauchzarte Fäden vernehme, die sich bis in unsere Realität zwirbeln?
Nein, so
sind wir Menschen nicht, das können wir einfach nicht sein...
Aber ist das
wirklich so?
Wie im Buch, zieht sich der ursprüngliche Protagonist Laing auch im Film immer mehr
in den Hintergrund zurück. Die Rebellen und die dekadente Oberschicht geraten
in den Fokus und wir werden Zeuge von viel zu vielen, zwischenmenschlichen Abscheulichkeiten.
Jeder will seinen Lebensstil durchsetzen, jeder ist sich selbst am nächsten,
jeder übt auf seine Art und Weise Macht gegenüber anderen aus.
Nach fast zwei
Stunden ist die Tortur beendet und wir werden aus dem Hochhaus/dem Kino wieder
auf die Straße, unsere eigene Realität entlassen.
Der Hubschrauber kreist nicht
mehr über der Stadt. Der wütende Mob wurde für einige Zeit wieder verdrängt.
Zurück in die eigene Etage. Von oben schaut der Mediaturm auf mich herab. Im Dunkeln
wirkt er bedrohlich und hat plötzlich erschreckende Ähnlichkeit mit dem
Hochhaus aus dem Film.
Mir wird bewusst: So sehr manchen Leuten die Welt hier draußen auch
Angst macht, selbst wenn wir eine Schutzmauer um uns aufbauen, werden wir auch
innerhalb dieser irgendwann wieder in die gleichen, gesellschaftlichen
Strukturen rutschen.
Mein Fazit: „High Rise“ ist definitiv ein sehr, sehr
anstrengender Film, der viele Fragen aufwirft und die Antworten dem Zuschauer
selber überlässt. Wer keine Angst vor so etwas hat, der kann sich den
Film ab Juni 2016 in deutschen Kinos ansehen. Wer einen entspannten Kinoabend
braucht, der sollte besser die Finger davon lassen.
Ich bin mal gespannt was
ihr so über J.G. Ballards Werk denkt.
Bis dahin!
Stay Professional
P.S. Im Film
enthalten sind übrigens zwei unfassbar tolle Coverversionen vom ABBA Ohrwurm:
S.O.S. Einmal eine klassische Version von Komponist Clint Mansel und einmal von
der Gruppe Portishead, die extra für diesen Song nach Jahren wieder zusammen im
Studio war. Und jetzt das Problem: Beide Stücke sind nirgendwo erhältlich! Sie
sind eigens für den Film komponiert worden und werden nicht veröffentlicht,
selbst nicht auf dem offiziellen Soundtrack. Die Beissspuren meiner Zähne, nachdem
ich das erfahren habe, sind immer noch in meinem Lenkrad zu finden.
Vor der Vorstellung im Mediapark. Dazu lautes Hubschraubersummen. Aber stattdessen zu Hause einschließen? Definitiv keine Option! |