11.08.2015
Teil 3
Ich
nehme es gleich vorweg:
In diesem Beitrag wird gespoilert!
Nein, das hat nichts
mit einer hässlichen Plastiktheke, die man hinten ans Auto schraubt zu tun. Es
geht darum, dass vielleicht einige von euch das Glück haben in den nächsten
Wochen noch die Hamlet Aufführung in London live mit zu erleben, ODER das Theaterstück
im Kino eures Vertrauens am 15.10.2015 per Liveschaltung genießen zu können.
Wer sich aber dennoch traut weiter zu lesen dem sei gesagt: Es gibt Dinge, die kann
man eigentlich gar nicht spoilern. Denn sie sind allgemein bekannt.
Ich rede
hier von Kinogängern, die im Film Titanic sitzen und am Ende entsetzt sagen:
„Wie? Das Schiff ist untergegangen?“
Das ist genauso als ob man Hänsel und
Gretel lesen würde und überrascht feststellt: „Ach was! Die Hex ist tot?“
Ich
kann natürlich verstehen, dass man in Zeiten von Game of Thrones oder The
Walking Dead etwas panisch ist. Die Autoren sind nämlich gemein und bringen auch
gerne mal einen der Hauptcharaktere um, ohne dass man etwas davon ahnt. Bei den
klassischen Werken von Shakespeare ist das anders. Der killt natürlich auch
gerne Leute, aber wie bei der Titanic weiß man meist wie es ausgeht, sofern man
in der Schule einen sadistisch veranlagten Englischlehrer hatte.
Wer sich aber
dennoch komplett überraschen lassen möchte, dem gebe ich hier trotzdem einen
Rat: Bevor ihr euch das Stück anseht, nehmt das Buch zur Hand und lest es! Mein
Englisch ist wahrlich nicht schlecht
ist, aber selbst mir fällt es schwer der shakespeareschen Sprache zu folgen.
Mit dieser Vorahnung hatte ich mich zuvor durch die Seiten einer
grottenschlechten Hamlet Übersetzung gequält. Es macht keinen Spaß das zu
lesen, da bin ich ehrlich, aber es hilft einem am Ende ungemein, das Stück
richtig verstehen und genießen zu können.
Haltestelle "Barbican" |
Ich mache mich also am frühen Abend
auf den Weg zum Barbican Theater. Nach erneutem Gedränge in der U-Bahn blieb
lediglich Zeit zum frisch machen und weiterreisen, das Nickerchen musste wieder
einmal zurückgestellt werden.
Und so sitze ich jetzt im Foyer dieses unfassbar
riesigen Komplexes.
Das Barbican ist ein gigantisches Kulturzentrum. Hier gibt
es Kinos, Ausstellungsräume, Seminarräume, ein Gewächshaus auf dem Dach und
natürlich das Theater. Ich bin fast zwei Stunden zu früh da. Das macht mir aber
nichts, denn so kann ich noch ein wenig über die verschiedenen Etagen
flanieren, den Museumsshop besuchen und eine Runde auf den gemütlichen Ledersitzen
entspannen.
Endlich Ruhe!
Und wer hätte das gedacht, im Barbican ist es wirklich
ruhig!
Fast hätte ich Ohropax eingepackt, da die britische Presse doch bereits
im Vorfeld mehrfach von kreischenden, Selfie machenden, pubertären Fans des
Hauptdarstellers berichtete, die wie eine unkontrollierte Meute jeglichen
Theaterbesuch zunichte macht.
All dies stellt sich als kompletter Blödsinn
heraus.
Es stimmt natürlich, dass jede
Nacht Leute vor dem Barbican campieren um die begehrten, letzten
Tageskarten für die Vorstellung zu ergattern. Dies ist in London allerdings
nicht unüblich, ganz unabhängig von der Aufführung. Selbst jetzt sitzen noch
jede Menge Leute vor dem Ticketschalter und hoffen auf Karten, die im letzten
Moment zurückgegeben werden.
Als ich an den Wartenden vorbei marschiere bin ich
erst einmal verwirrt, doch ein Blick auf ein kleines Schild gibt mir
Gewissheit. Ja, das hier ist tatsächlich die Warteschlange für Hamlet mit dem
Frauenschwarm Benedict Cumberbatch. Ein weiteres Klischee wird sofort atomisiert.
Hier campieren heute fast nur Männer! Wer hätte das gedacht?
Horden von kreischenden, hoch gewachsenen Fangirls mit starkem Bartwuchs belagern wie jeden Tag das Barbican! |
Kurz vor der
Vorstellung macht sich dann doch etwas Nervosität in mir breit. Wie wird das
Stück wohl werden? Wird alles gut gehen? Die Premiere war erst letzte Woche, da
passieren am Anfang immer mal wieder ein paar Fehler.
Und vor allen Dingen: Wie
viele Schlüpfer und BH’s werden im ersten Akt auf die Bühne geworfen?
Werden
wir Damen unsere hormongefluteten Körper kontrollieren können und ausnahmsweise
mal nicht nackt durch den Saal rennen? Ich wette da sitzen tatsächlich jeden
Abend Redakteure von irgendwelchen Schmierblättchen im Auditorium und warten
nur darauf, dass irgendetwas passiert, was sie anschließend bis zur
Unkenntlichkeit verwursten können.
„Hysterische Zuschauerin weint während des
ganzen Stücks!“, lauten dann die Schlagzeilen, dabei hatte die Ärmste nur eine
Erkältung.
Eines steht fest, ausziehen wird sich heute Abend niemand, denn die
Klimaanlage des Barbican gibt ihr Bestes. Ich warte nur noch darauf, dass
Schnee von der Decke rieselt.
Ich habe einen recht guten Platz, genau in der
Mitte des riesigen Saales ergattert. Als das Licht gedimmt wird verstummt das
Stimmengewirr.
Der Vorhang öffnet sich und vor uns erscheint ein kleines Zimmer.
Das Bühnenbild ist minimalistisch. Eine geschlossene Tür, eine antike Truhe mit
Erinnerungsstücken und daneben Hamlet, bzw. Mr. Cumberbatch persönlich. Er
steht einsam im Rampenlicht, durchforstet die Kiste und sinniert mit einer
Stimme, die Titan zum Schmelzen bringt: „To be or not to be?“ („Sein oder nicht
sein?“). (Übrigens ein Experiment der Regisseurin, diese berühmten Worte
bereits an den Anfang des Stückes zu setzen. Wie sich nach den ersten
Aufführungen aber herausstellte, kam dieser Wechsel beim Publikum nicht so gut
an, weswegen man den Part nach ein paar Vorführungen wieder an seinen
ursprünglichen Platz, nämlich ins letzte Drittel, versetzte.)
Ich lehne mich
zurück und komme aus dem Grinsen nicht mehr heraus. Ich bin einfach nur dankbar
dafür, solch einen Schauspieler nur wenige Meter vor mir, live performen sehen
zu dürfen. Im Saal kann man eine Stecknadel fallen hören, alle hängen gebannt
an den Lippen des Hauptdarstellers. Dass mich nur wenige Minuten später eine
ganz andere Sache aus den Schuhen hauen wird, ahne ich jetzt noch nicht.
Mit
einem gruseligen Lichteffekt kommt Hamlets Vertrauter Horatio auf die Bühne, es
folgt ein kurzer Dialog. Und dann Szenenwechsel.
Das ist der Moment in dem mir
die Kinnlade herunterfällt. Es stellt sich heraus, dass die Bühne, die wir bis
dato gesehen haben nur ein Bruchteil von dem ist, was den Zuschauer erwartet.
Die Wand des spartanischen Zimmers verschwindet in der Bühnendecke und was
dahinter zum Vorschein kommt ist so gigantisch, dass ich sofort eine Gänsehaut
bekomme.
Kennt ihr den Moment, wenn sich die Leinwand im Kino vergrößert, kurz
bevor der Hauptfilm anfängt?
Dann wenn das Kino mit beeindruckendem Surround
Sound prahlt mit was für einer genialen Technik es aufwarten kann?
Der Moment
wenn man das Gefühl hat die Leinwand legt sich einmal über das Gesicht bis
hinter die Ohren?
Dieses Gefühl mit 100 multipliziert, ja, das kommt ungefähr
hin. Die Halle eines riesigen Schlosses taucht auf, mit Kristall-Kronleuchtern,
so groß wie mein Büro. Die Schauspieler versammeln sich um eine üppige Tafel
und wirken in der Kulisse plötzlich wie winzige Püppchen. Die Bühne scheint
einfach unendlich. Sie ist nicht nur breit, sondern geht auch noch so weit
in die Tiefe, dass man im Hintergrund noch weitere Zimmer sieht, und selbst
dahinter noch eine Ebene.
Über die Treppe zur Linken kommen weitere Darsteller
ins Bild, gekleidet in detailverliebte Roben. Es ist eine Mischung aus den
zwanziger Jahren und etwas, dass einem Tim Burton Film entsprungen sein könnte.
Die Wände sind in schmutzigem Petrol gestrichen und drücken die Stimmung und
das Licht.
Spätestens jetzt zeigt uns das Bühnenbild in eindeutiger Art und
Weise: „Something is rotten in the state of Denmark“ („Etwas ist falsch/faul im
Staate Dänemark“).
Das Stück beginnt und für die nun folgenden 3 ½ Stunden
werden wir Zeugen einer Inszenierung, die zeigt, dass hier die besten
Theaterproduzenten der Welt am Werk sind. Natürlich steht an der Spitze das
Aushängeschild Benedict Cumberbatch, ein Schauspieler, dem die Perfektion in
die Wiege gelegt worden sein muss. Er sprintet und tanzt zugleich über die
Bühne, jeder einzelne Schritt sitzt, jeder Satz perlt aus seinem Mund wie eine
perfekt komponierte Melodie. Würde ich jedes Detail hier wiedergeben, ich
müsste einen Roman verfassen.
Aber ein Team stellt selbst diesen Schauspieler,
im wahrsten Sinne des Wortes, in den Schatten. Damit meine ich die
Bühnenbildner, Soundtechniker und Beleuchter. Sie nehmen das Publikum, wirbeln
es in eine komplett andere Welt und lassen es im Strudel der Bilder, die sie
live vor ihm zeichnen, ertrinken. Vielleicht das einzige, kleine Manko, denn
dadurch geht manch schauspielerische Leistung leider etwas unter.
Einige Szenen
hingegen setzen die Darsteller wiederum genau ins richtige Licht. Das passiert
immer dann, wenn einer der für Shakespeare typischen Monologe an die Reihe kommt.
Normalerweise würde die Figur in diesem Moment alleine auf der Bühne stehen.
Bei solch einer riesigen Szenerie ist es aber ein Ding der Unmöglichkeit erst mal
wieder alle anderen aus dem „Bild“ zu schaffen.
Hier bedient man sich eines
sehr wirkungsvollen Tricks: Während das Spotlight auf den Monolog Haltenden
zielt, wird der restliche Raum in schummriges Zwielicht versetzt. Die übrigen
Darsteller verfallen auf einmal in sehr langsame Bewegungen und so sieht es
aus als würde alles in Zeitlupe laufen, bis auf die Person im Licht. Es ist als ob man
eine dieser computergenerierten Szenen aus Matrix anschaut.
Kaum ist man über
diesen grandiosen Effekt hinweg gekommen, erschüttern Konfettikanonen die
Zuschauer. Schwarzes Papier wird wie ein Sturm über die Bühne geblasen und
entlassen das Publikum in eine kurze Pause.
Meines Erachtens ist dieses Intervall eigentlich viel zu kurz um
die komplette Bühne in ein Trümmerfeld voller Schutt zu verwandeln. Die Bühnenbildner
müssen Zauberer sein, oder haben uns heimlich für ein paar Stunden narkotisiert, da bin ich mir eigentlich sicher, denn wo kommen auf
einmal diese Berge von Geröll her, die sich nach der Pause quer über die Bühne ergießen?
Doch es ist nicht nur alles Drama, denn dieser Hamlet ist gleichzeitig
sehr humorvoll. Vor allen Dingen dann, wenn der dänische Prinz vorgaukelt,
verrückt geworden zu sein. Und auch da enttäuscht der Hauptdarsteller nicht. Cumberbatch
beherrscht sowohl Drama als auch Komödie und das alles in einem Stück.
Wer neugierig ist,
wie das Ganze aussieht,
der kann sich hier den offiziellen Trailer
für die kommende Live Übertragung ansehen:
Nach
dreieinhalb Stunden fällt der Vorhang und das Publikum beschenkt das Ensemble
mit stehenden Ovationen. Die Darsteller kommen noch einmal nach vorne und
verneigen sich. Und auch jetzt fliegen keine BH’s oder Schlüpfer.
Doch! Eine
Sache gelangt tatsächlich auf die Bühne. Ein junges Mädchen steht auf und
überreicht dem Hauptdarsteller einen hübschen, kleinen Blumenstrauß.
Cumberbatch bedankt sich, indem er der Schenkenden einen Luftkuss zuwirft,
bleibt aber ganz Gentleman und reicht die Blumen an eine der weiblichen
Darstellerinnen weiter. Dem Mädchen macht das nichts aus. Sie schwebt nach
dieser Aktion bereits auf Wolke 300.
Und so geht ein weiterer Theaterabend zu
Ende…
... denke ich, denn eigentlich hieß es ja immer, dass der Herr Cumberbatch
nicht zur Stage Door kommen und nach dem Stück keine Autogramme geben wird.
Eigentlich…, aber dazu mehr im nächsten Eintrag.
Stay
Professional
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