11.08.2015
Teil 3
„Bitte
beachten Sie, dass Mr. Cumberbatch nach den Vorstellungen keine Stage Door
machen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis“. So stand es noch vor einigen
Tagen auf einem kleinen, laminierten Schild am Künstlereingang des Barbican.
Der Hauptdarsteller des Bühnenstücks hatte zudem zuvor in diversen Talkshows
darauf hingewiesen, dass es ihm sehr leid täte, aber es unmöglich wäre nach
jeder Hamlet Vorstellung für einen Zeitraum von 3 Monaten jeden Tag zum
Künstlereingang zu kommen, um Autogramme zu geben.
Soweit der Plan.
Die
Realität machte dann aber bereits nach der dritten Aufführung eine 180° Kehrtwende.
Nämlich an dem Tag, als Cumberbatch wie immer das Gelände durch die kleine,
versteckte Glastür verlies und ein junges Mädchen hinter ihm her rief: „Benedict,
ich habe heute Geburtstag und bin für das Stück extra aus Brasilien angereist.“
Ob es die Wahrheit oder einfach eine Notlüge des Fans war, man wird es wohl nie
erfahren. Tatsache ist aber, dass auch Hollywood Stars ein weiches Herz haben
und so kam es, dass Cumberbatch an diesem Tag eine Vollbremsung einlegte,
zurück ging und dem Mädchen ein Autogramm gab. Und weil es ja dann den anderen,
wartenden Fans gegenüber unfair gewesen wäre, bekamen diese eine Menge
Autogramme und Selfies mit dazu.
Vor der Vorstellung. Keiner da, außer laminierte Schilder. |
Nur zwei Werktage später, verlasse ich
zusammen mit den anderen Zuschauern die Hamlet Vorstellung. Ich lasse mich mit
der Menge treiben und verarbeite innerlich immer noch dieses atemberaubende
Theaterstück. Nachdem ich den Haupteingang verlassen habe, sehe ich zu meiner Rechten
eine Menschentraube. Sie hat sich um den Künstlereingang geschart. Als ich
näher trete erkenne ich, dass das ominöse Schild verschwunden ist. An seiner
Stelle hängt jetzt ein Hinweis, dass man auf die Anwohner Rücksicht nehmen und
nicht so laut sein solle.
Moment mal! Nicht so laut, im Sinne von: „Oh mein
Gott da kommt gleich ein Superstar aus der Tür, er wird nur einen Meter von mir
entfernt stehen und deswegen kreische ich mir hysterisch die Seele aus dem Leib
raus!“ ?
Es beginnt zu regnen. Ich bin hundemüde, sollte eigentlich dringend
zur U-Bahn gehen und endlich das Bett heimsuchen, welches bereits seit Stunden
meinen Namen ruft. Aber die Traube am Seiteneingang ist relativ klein.
Vermutlich glaubt keiner so recht, dass der Star des Abends tatsächlich aufkreuzen
wird.
NATÜRLICH gehe ich nicht zur U-Bahn, sondern beschließe mir das Treiben
wenigstens aus gebührendem Abstand an zu sehen.
Die erste Reihe vor dem Eingang
ist durch ein paar Absperrgitter, wie man sie bei Konzerten benutzt, abgeschirmt.
Dahinter stehen bereits drei Reihen von jungen Mädchen und jung gebliebenen
Frauen.
Weiter dahinter, im gebührenden Abstand warten die Ehemänner und
Freunde der Damen. Im strömenden Regen sehen sie aus wie Hunde, die man vor die
Tür geschickt hat. Einen ähnlichen Blick hatte mein Mann mal drauf, als er mich
auf einer dreistündigen Shoppingtour begleiten musste.
Er bedeutet ungefähr
das: „Ich will nach Hauuuuuseeeee!“
Einzig neben mir hat sich ein junger Typ
positioniert. Er steht dort zusammen mit seiner Freundin oder Schwester und
macht sich bereits jetzt einen Spaß daraus seine Begleiterin permanent zu schocken.
Sie ist leider einen ganzen Kopf kleiner und kann kaum etwas sehen, während er
die beste Übersicht hat und alle zwei Minuten „Da ist er! Da ist er!“, ruft,
woraufhin sie sofort zusammen zuckt und Geräusche von sich gibt, die klingen
als hätte man einer winzigen Maus auf den Schwanz getreten.
Ich gebe zu, ich
hätte nie gedacht das ich das mal sagen würde, aber irgendwie fand ich das mehr
niedlich als nervig.
Als sich das erste Mal die Tür öffnet wird mir der Blick
von einer Wand aus Smartphone Monitoren verwehrt. Hat natürlich auch einen
Vorteil. Ein Blick auf die Bildschirme und ich bin hautnah am Geschehen. Das
Gemurmel in der Menge wird lauter, die Maus neben mir fiepst wieder. Dennoch,
Fehlalarm. Es war nur irgendein Mitarbeiter.
Nur ein paar Minuten später geht
es dann aber Knall auf Fall. Ein Darsteller
nach dem Anderen kommt aus der Tür und wird gebührend von der Menge gefeiert.
Bei
allem Respekt gegenüber einem Cumberbatch, darf man nämlich nicht vergessen,
dass es sich hier um hochkarätige Schauspieler aus der Theater, TV und Filmwelt
handelt, die hier mal eben heraus spazieren und sich auf ihr Fahrrad schwingen
als wäre es das normalste auf der Welt.
Gut, für sie ist es das auch, aber mir
als Dorfkind fällt da dann doch immer wieder die Kinnlade herunter. Ja, die
wohnen hier in London, die fahren hier Fahrrad, atmen Luft, fahren jetzt heim zu
ihrer Familie und gehen dort wahrscheinlich zuerst mal eine Runde aufs Klo! Wer
hätte das gedacht.
Ciaran Hinds (bekannt u. A. aus Game of Thrones), schreibt gemütlich Autogramme und
macht Fotos mit den Fans. Matthew Steer, der den Rosencrantz spielt,
klatscht jeden einzelnen in der ersten Reihe fröhlich ab und wandert dann
gemütlich in Richtung U-Bahn. Und dann wird es doch zunehmend unruhig. Jeder
fragt sich: Wird der Hauptdarsteller heute auch rauskommen und sein vor einigen
Tagen gebrochenes Wort weiter durchziehen?
Ich sehe nach hinten und warte auf
die Hundertschaft, die ihn vermutlich abschirmen wird, sowie die komplette Stretch
Limo Flotte, die den Darsteller anschließend nach Hause fährt.
Nichts
dergleichen passiert. Stattdessen geht auf einmal einfach die Tür auf und da
steht er und winkt uns fröhlich entgegen. Ganz normal, ohne großes Zinnober.
Die Handys gehen hoch, die Maus neben
mir bekommt Atemprobleme, ihr Begleiter einen Lachkrampf. Wie gemein.
Och kuck mal! Da isser ja! |
Ich weiß, dass ich hier hinten keine Möglichkeit habe ein Autogramm oder Foto
zu ergattern.Dennoch, für mich ist so was immer ein absolut unrealistischer Moment. Dieser
Mann ist momentan einer der meistgefragtesten Schauspieler Hollywoods und zudem
gerade frischgebackener Vater. Trotzdem bringt er es auch heute wieder
nicht über das Herz seine Fans hier stehen zu lassen und wirft sich tapfer in
die Menge. Ich bin überrascht, der Geräuschpegel hält sich sogar jetzt noch in
Grenzen. Vermutlich weil jeder mitbekommen möchte was Cumberbatch da mit dem
ein oder anderen Fan bespricht.
Es sind nur kurze Gespräche.
Ein freundliches „Hat
dir mein Stück gefallen?“ oder „Ganz lieben Dank, dass du gekommen bist.“
Für
mehr reicht die Zeit nicht, denn möglichst viele Fans sollen ein Autogramm
erhalten.
Inzwischen sind auch die Handys wieder herunter gesackt und so habe ich
jetzt freien Blick auf „the Batch“. Er sieht aus als wäre er gerade erst aus
der Dusche gesprungen. Kein Camouflage, der sonst im TV benutzt wird verdeckt
seine Grübchen und die müden Schatten unter seinen Augen. Kleine Sommersprossen
verraten, dass auch bei diesem Briten ein natürlicher Rotstich im Haupthaar vorhanden
ist. „Dä Jung es fussich“, wie man bei
uns im Kölner Raum sagen würde.
Die Menge lauscht gebannt was er erzählt, dann
durchbricht Mausis Stimme auf einmal den Moment. Sie hat all ihren Mut zusammen
genommen und piepst in Michael Jackson Manier ganz leise und doch für alle
hörbar: „I love you!“
Die Wartenden brechen allesamt in sympathisierendes
Gelächter aus und auch Cumberbatch kann sich das Grinsen nicht verkneifen.
Irgendetwas sagt er auch, aber ich kann leider nicht verstehen was. Dummerweise
bekommt Mausi davon nichts mit, sie ist zu klein.
Nach einer Weile
verabschiedet sich unser Star und geht winkend zurück ins Gebäude. Moment? Gibt
es noch einen Ausgang? Oder pennt der jetzt hinter der Bühne?
Während ich noch
darüber sinniere löst sich die Menge langsam auf. Doch das Piepsen in meinem
Ohr will einfach nicht verschwinden. Als ich mich zur Seite drehe verstehe ich
warum. Der Begleiter von Mausi hat den denkwürdigen Augenblick auf seinem
Smartphone verewigt und macht sich einen Spaß daraus die drei Worte „I love
you!“ in Dauerschleife ab zu spielen. Es klingt als hätte ein schlechter Rapper
Helium inhaliert.
Leider etwas unscharf. Bezieht sich natürlich nicht auf die Person auf dem Bild! |
Ich sehe, dass Ciaran Hinds tatsächlich noch da ist und mit
ein paar Fans spricht. Er ist im Schatten des Hauptdarstellers auf einmal eine
ganz normale Gestalt in Mitten der Menschen geworden. Ich beschließe nun aber
endgültig den Heimweg an zu treten.
Als ich am Haupteingang vorbei komme
taumeln vor mir zwei beseelte Mädchen mitten über die Straße und begutachten
die Fotos, die sie mit ihrem Smartphone geschossen haben. In diesem Moment
schießt aus einer Seiteneinfahrt des Barbican eine schwarze Limousine. Ein geparkter
Van versperrt dem Fahrer die Sicht. Ich sehe bereits einen Zusammenstoß vor meinem
inneren Auge, doch im letzten Moment bemerkt der Fahrer die beiden Mädchen und
legt eine Vollbremsung hin. Die beiden springen entsetzt zur Seite und bekommen
gleich darauf einen zweiten Herzinfarkt als der Passagier auf der Rückbank sich
kurz zu ihnen herüber beugt und fragt ob alles ok ist. Ich kann die Silhouette seines
Kopfes erkennen und anhand der absolut perplexen Reaktion der Mädchen weiß ich,
wer da hinten drin sitzt. Ein kurzes Winken, dann düst die Limousine davon. Den
beiden Mädchen wird erst jetzt bewusst was da gerade passiert ist und sie
umarmen sich kreischend. Ganz sicherlich aber nicht, weil sie gerade einem
beinahe Unfall entgangen sind. Von Benedict Cumberbatch (bzw. seinem Chauffeur)
fast überfahren werden, das passiert einem auch nicht alle Tage.
Hinter mir
ertönt ein fiependes „I love you“. Ja, definitiv Zeit ins Hotel zu fahren.
Der
nächste Tag in London ist mal vollkommen Star frei. Was ich erlebt habe, das
erfahrt ihr im nächsten Eintrag.
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