10.08.2015
Teil 3
Auf
den letzten Kilometern meiner Reise im Eurostar, schaffe ich es endlich meinen
Mitreisenden auch mal gehörig auf den Zeiger zu gehen. Schuld daran ist mein
Nerd T-Shirt, das den Spruch „Keep Calm and say NI!“ trägt. Aufmerksame Monty
Python Fans werden sofort wissen worum es geht. Allen anderen sei gesagt: Es
ist eine Referenz auf den Film „Die Ritter der Kokosnuss“. Ein Meisterwerk aus Großbritannien
und einer der wenigen, erlesenen Streifen, die ich komplett mit zitieren kann. …
Auf Deutsch und Englisch…!
Nun,
als ich aufstehe und mich schon mal auf den Weg zum Gepäckabteil mache erblickt
ein junger Asiate jenen Aufdruck. Anhand seines Atari T-Shirts, der schwarz
umrandeten Brille und dem halben Apple Store, den er um sich verteilt hat, erkenne
ich sofort einen Mitstreiter. Wir begrüßen uns mit einem spitzen „NI!“ und
setzen dann die Unterhaltung fort, indem wir uns ein Filmzitat nach dem anderen
an den Kopf werfen. Hach, es ist schön auf Gleichgesinnte zu treffen. Treffen
würden uns die Mitreisenden sicherlich auch gerne mal, allerdings mit dem
Geschoss einer Pump Gun. Aber, das gönne ich mir jetzt, schließlich habe ich in
den letzten 5 Stunden nicht einen einzigen Laut von mir gegeben. Zehn Minuten
später kennt auch der Rest des Waggons den halben Film. Dann ist die
Zotenschlacht überstanden und wir rollen in London St.Pancras ein. Es klingt
verrückt, aber dieser Bahnhof ist unter anderem ein Grund dafür, dass ich eine
Zugfahrt dem Flieger vorziehe. Man kommt wirklich mitten im Geschehen an und
wird von einem der für mich schönsten Bahnhöfe begrüßt. Nachdem ich aus dem Zug
gestiegen bin bleibe ich erst einmal stehen um die Atmosphäre auf zu saugen. Mein
Blick geht Richtung Ausgang, dort wo die historische Bahnhofsuhr hängt. Unter
ihr die riesengroße Statue zweier Liebenden. London heißt mich willkommen. Doch
die Ruhe dauert nicht lange an, denn die goldenen Zeiger halten mir vor Augen,
dass ich in nur 2 Stunden bereits im National Theater sitzen muss.
Als ich nach
draußen stürme, habe ich das Gefühl jemand hat mich aus dem fahrenden Wagen auf
eine zwanzig-spurige Autobahn geworfen. Menschen, Menschen, Menschen. Vor mir, hinter
mir, neben mir. Rush hour. In meinem Hinterkopf höre ich das ständige Ticken
eines Sekundenzeigers.Wenn man nicht rechtzeitig im Theatersaal sitzt, wird man
nach Beginn der Vorstellung nicht mehr hinein gelassen. Eine durchaus gängige Praktik
nicht nur in London, damit die anderen Zuschauer nicht gestört werden. Zum
Glück bin ich gut vorbereitet, kenne die Gegend und arbeite mich zügig durch
eine Reihe von Notwendigkeiten. Punkt 1: Geld abheben. Punkt 2: Oyster Card
aufladen (das ist die Fahrkarte für Bus und U-Bahn). Punkt 3: Den richtigen Bus
erwischen. Tatsächlich klappt alles problemlos und nur kurze Zeit später sitze
ich in der Linie 59 Richtung Waterloo.
Noch, denn bezogen auf das „Sitzen“ habe ich den
heißen Stuhl gewählt. Der Bus ist schon gut gefüllt und mit meinem pinken
Koffer bleibt mir nur noch der „priority seat“. Das ist ein Platz, den man frei
machen muss, sollte jemand mit Kinderwagen den Bus betreten. Ist der Platz mit
einem Kinderwagen belegt, es steigt aber eine Schwangere ein, dann muss der
Platz wiederum für diese Person frei gemacht werden. Und wenn jemand im
Rollstuhl dazu steigt, dann sticht dieser wiederum die Schwangere. All dies
zeigt mir die gelbe Hinweistafel direkt neben meinem Sitz. Die Litanei liest
sich wie ein Comic. Zwei Stationen später wird eine ältere Dame im Rollstuhl
eingeladen. Ich bin verwirrt… hätten nicht zuvor ein Kinderwagen und eine Schwangere
auftauchen müssen? Darf ich den Platz unter diesen regelwidrigen Umständen überhaupt
schon abgeben?
Natürlich mache ich sofort Platz und hieve meinen Koffer auf den
letzten freien Stellplatz im Bus. Im Gegensatz zum Eurostar, wo die über motivierte Klimaanlage Eiswürfel auf die Passagiere abgeworfen hat, wird im Bus gerade ein
subtropisches Habitat gegründet. Ich merke wie Schweißperlen, zäh meinen Rücken
herunter laufen. Sie begraben damit sämtliche Hoffnung, dass ich mich vor dem
Theater nicht mehr umziehen muss. Die Uhr tickt erbarmungslos weiter.Wie immer
stapeln sich massenhaft Autos auf den Straßen und die Großstadtluft macht einem
Landei wie mir sofort zu schaffen. So geht es mir aber nicht nur in London, wo mir
die Abgase zum Glück nur ein leichtes Kratzen im Hals abverlangen. In Paris
dachte ich mal eine Aschenbecher Entsorgungsanlage wäre explodiert und in Bangkok
fühlte ich mich wie ein Goldfisch, den man aus seinem Aquarium auf heißen Asphalt gekippt hat. Aber das ist eine
andere Geschichte. Zurück nach London.
So verstopft wie die Straßen auch sind,
ich habe bisher noch nicht einmal mit dem Bus länger als eine Minute irgendwo
gestanden. Und das gilt auch für die Haltestellen! Als Neuankömmling wundert
man sich warum die Fahrgäste beim Busfahrer immer demütigste Dankesreden schwingen,
während sie ihre Fahrkarte über den Scanner ziehen. Wenn man die Situation aber
mal aus der Ferne beobachtet, versteht man warum. Der Verkehr in London ist ein
einziges, filigranes Konstrukt. Jeder Ausreißer hat Auswirkungen, die das
komplette System lahmlegen können. Jeder Bus, der auch nur ein paar Sekunden zu
lange in der Haltestelle steht, verursacht hinter sich ein komplettes Rückstau
Chaos. Und damit das nicht passiert, sind Busfahrer in London die emotionslosesten
Maschinen, die ich je im Straßenverkehr kennen lernen durfte. Ok, Mitarbeiter der
Deutschen Bahn können das ebenfalls sehr gut, aber der Unterschied ist: Die
machen das weil sie keinen Bock auf ihren Job haben. Der Londoner Busfahrer
hingegen hat eine Ausbildung auf dem Chuck Norris College für Kraftfahrzeugführer
genossen und gibt alles um die Großstadt am Leben zu halten. Zu Hause ist er
bestimmt ein netter Kerl, aber hier, auf dem harten Asphalt des Lebens hat er
sein Lächeln in der Umkleidekabine gelassen. Als ein älteres Ehepaar einsteigt
und tatsächlich den Fehler begeht eine Fahrkarte im Bus kaufen zu wollen, zeigt
der Fahrer was er so alles auf der Schule gelernt hat. Die Rentnerin, offensichtlich
eine Britin, aber definitiv keine Einwohnerin Londons, fragt nach der
Endhaltestelle. Der Fahrer bestätigt das mit einem kurzen Nicken und schließt
bereits die Tür. Als die Dame das Geld zückt, geht diese aber schneller wieder
auf als die Hydraulik zischen kann. Mit wedelnder Hand und keinerlei weiteren
Worte, komplimentiert der Herr des Busses die beiden sichtlich überrumpelten Rentner
wieder hinaus. Diese kurze Verzögerung sieht der Mann im Anzug auf der gegenüberliegenden
Straße als seine Chance an. Er sprintet los, sein Schlips weht im Wind, seine
Haare werden zerzaust und seine Augen weiten sich, voller Hoffnung den Bus doch
noch zu erwischen. Er vergrößert die Schritte, zückt dabei seine Karte, nimmt
Anlauf um die Einstiegsstufe noch zu schaffen… und knallt mit dem Gesicht,
schmatzend gegen die sich gnadenlos schließende Tür. Der Busfahrer sieht den
Mann genau, es interessiert ihn aber nicht. Und jetzt kommt das wirklich absurde:
In Deutschland würde der zurückgelassene Passagier sofort sein Handy zücken,
die Polizei, das Militär und die Staatsanwaltschaft einschalten und als
Schadensersatz das komplette Haus des Fahrers pfänden. Nicht so in London. Als
wir langsam aus der Haltestelle rollen, sehe ich wie der Mann draußen
entschuldigend die Hände hebt und sich ohne jede Gegenwehr, brav in die
Schlange für den nächsten Bus stellt. Abgefahren… im wahrsten Sinne des Wortes.
Und doch irgendwie verständlich, denn ein Blick hinter mich zeigt mir, dass
selbst diese winzige Verzögerung bereits zu einer riesigen Anstauung von PKW
und Bussen geführt hat. Dieser konsequenten Handhabe habe ich dann auch zu
verdanken, dass ich es tatsächlich rechtzeitig ins Hotel schaffe. Ich mache
mich kurz frisch, ziehe mich um und fahre dann mit dem nächsten Bus zum
National Theater. „Everyman“ heißt das Stück und darüber berichte ich dann in meinem
nächsten Beitrag.
Stay
Professional
London welcomes you! |
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