Vorbereitung
ist alles!
Das meine ich ernst. Nichts ist frustrierender als irgendwo über eine
langweilige Hauptverkehrsstraße zu latschen, weil man gerade mal wieder keine
Ahnung hat wo man eigentlich ist. Aus diesem Grund habe ich meinen London
Aufenthalt auch akribisch geplant. Naja… bis auf den heutigen Tag.
Am Vormittag
gönne ich mir etwas Erholung und koste die Zeit im Bett so lange wie möglich
aus. Die halbe Nacht bin ich trotz lähmender Müdigkeit hochgeschreckt, weil ich
dachte das Hotel brennt gerade ab. Der tatsächliche Grund ist allerdings, dass
auf der Kreuzung vor meinem Zimmer halbstündlich ein Rettungswagen vorbei
donnert. Die britischen Sirenen klingen wie polyphone Klingeltöne auf Speed
und tragen nicht unbedingt zur erholsamen Nachtruhe bei. Mein Gehirn muss sich
erst einmal wieder an die Abspaltung zu unseren deutschen Trethupen gewöhnen.
Bitte nicht falsch verstehen, das Hotel mag gemäß der von mir vermittelten
Eindrücke wie eine Katastrophe erscheinen, aber es ist bereits das zweite Mal,
dass ich hier Urlaub mache und ich würde es auch immer wieder buchen.
Warum?
Nun, es hat zwar so seine kleinen Macken, aber es ist sauber, die Matratzen
verwandeln sich nicht in Hängematten sobald man darin liegt, das London Eye
steht nur zwei Straßen weiter und für diese zentrale Lage ist es verdammt
günstig.
Muss man für andere Hotels in dieser Lage erst einmal sein gesamtes
Hab und Gut verpfänden, kommt man hier halbwegs über die Runden ohne sich für
den Rest seines Lebens zu verschulden. Ja, London ist teuer. Das will ich nicht
beschönigen. Zwei Wochen all inclusive Urlaub am Mittelmeer oder vier Tage
smogverseuchte Großstadt. Ihr habt die Wahl.
Das meine Entscheidung wieder
einmal auf zweites gefallen ist, zeigt aber auch, wie toll diese Stadt ist. Während
des Frühstücks habe ich einen Geistesblitz. Wenn ich schon diverse
Theaterbesuche in London wahrnehme, warum dann nicht auch endlich mal das
Shakespeare Globe Theatre besichtigen (Leider ist dies nicht mehr das ursprüngliche Theater, aber ein originalgetreuer Nachbau.)
Ich schnappe mir also meinen Faltplan und ziehe wieder los.
Ich schnappe mir also meinen Faltplan und ziehe wieder los.
Die U-Bahn Station liegt direkt gegenüber vom
Hotel und so bin ich innerhalb kürzester Zeit an der Station „London Bridge“
angekommen. Aber wie geht es jetzt weiter? Einer der vielen Gründe warum ich
mich so gut auf Reisen vorbereiten muss ist der, dass ich Stadtpläne grundsätzlich verkehrt herum halte. Und so laufe ich erst
einmal in die falsche Richtung. Innerlich weiß ich meist sogar schon,
dass da irgendwas nicht stimmen kann, aber mein Ego übertönt jedes Mal meine
Intuition und die Leidtragenden dieses Streits sind dann meine Füße.
Als Resultat latsche ich zwei Mal durch die Menschenmassen, die sich vor der U-Bahn Station drängen und von dort aus in alle Himmelsrichtungen verteilen. Aber auch auf der anderen Straßenseite ist dann kein Weiterkommen in Sicht. Ab hier geht es nur noch quer über die Themse, aber da will ich doch eigentlich gar nicht hin?
Als Resultat latsche ich zwei Mal durch die Menschenmassen, die sich vor der U-Bahn Station drängen und von dort aus in alle Himmelsrichtungen verteilen. Aber auch auf der anderen Straßenseite ist dann kein Weiterkommen in Sicht. Ab hier geht es nur noch quer über die Themse, aber da will ich doch eigentlich gar nicht hin?
Ich stopfe die Straßenkarte in meine Hosentasche und beschließe auf
eigenen Faust einen Weg zu finden. Ich muss nur irgendwie ans Ufer kommen, dann
müsste der Rest ein Kinderspiel sein.
Als ich von der Brücke aus nach unten
schaue entdecken meine Augen eine Oase in Mitten der Menschenmassen. Ein
kleines Cafe hat in einem Innenhof jede Menge gemütliche Sofas, Hängematten und
Liegestühle aufgebaut auf denen die Gäste die Sonne genießen. Kaum einer, der
in der hektischen Masse auf der Brücke gefangen ist nimmt diese versteckte
Idylle wahr. Meine Neugierde ist geweckt. Ich laufe noch ein Stück an der
Brücke entlang und finde eine winzige Steintreppe, die zu dem Cafe führt. Auch
hier knubbeln sich noch die Menschen, aber je weiter man hinunter geht, desto
ruhiger wird es. Der Lärm der Autos verblasst auf einmal und wie Alice im
Wunderland, steige ich ab in eine vollkommen andere Welt. Erst als ich unten
angekommen bin verstehe ich, dass dieses Cafe erst der Anfang eines Milieus
ist, das mich sofort in seinen Bann zieht. Ein freundlicher Bann, voller
lachender Menschen, Musik und Gerüchen, die mich wie in Watte einbetten und
durch eine weitere, schmale Gasse tragen. Links von mir sind kleine Alkoven in
die Brückenwand eingebettet. In jeder Bucht befindet sich eine Imbissbude. Aber
nicht der übliche Fast Food Kram. An der einen Ecke bereitet ein Mann in einer
riesigen gusseisernen Pfanne, frische Paella zu. Er lacht und tanzt dabei zu brasilianischen Klängen. In der nächsten steht ein
Marokkaner und brät verlockend riechende Teigtaschen. Vor den einzelnen Alkoven
sitzen die Gäste. Bunt gemischt, jeder nimmt einfach irgendwo Platz. Und dieser
Platz besteht nicht aus normalen Bänken, sondern aus praktisch aufeinander
gestapelten Getränkekisten oder Fässern. Ich lasse mich weiter treiben und
werde durch die kleine Gasse bis zu einem größeren Platz geschleust. Jetzt stehe ich genau unter der Hauptstraße. Von weitem kann man die Autos über sich
dröhnen hören, aber es ist ein entferntes, unaufdringliches Geräusch. Vor
mir erstrecken sich unzählige kleine Buden und Stände. Dazu verträumte Hütten, die
aussehen als wären sie direkt der viktorianischen Zeit entsprungen.
Die Weite
der Unterführung entzerrt den Menschenstrom und so herrscht hier ein
idyllisches Treiben rund um die Verkaufsstände. Als ich nach oben sehe verstehe
ich endlich wo ich bin.
„Borough Market“ sagt ein Schild. Natürlich! Ein Ort,
der mir schon so oft empfohlen wurde und dessen Name mein löchriges Gehirn andauernd
vergessen hatte.
Aaaach! Da war doch wat gewesen! |
Plötzlich steigt mir das verlockendste Aroma aller Zeiten in
die Nase. Eigentlich ist es nicht nur ein Geruch, sondern eine Mischung aus
unzähligen Düften, Gewürzen, Getränken und Süßspeisen, denn auf dem Borough Market
gibt es ausschließlich Nahrungsmittel zu kaufen. Frisch zubereitet, verlockend
präsentiert und mit kostenlosen Probierhäppchen an jeder Theke. Ich wollte zu
Shakespeare, aber gelandet bin ich im Schlaraffenland.
Es gibt Käse, Joghurt
aus Biomilch, Gewürze, frischen Fisch, Muffins, Kekse, Törtchen, klassische
britische Pies, Obst, frisch gepresste Säfte sowie allerlei exotische Speisen.
Suppe aus Thailand, Kichererbsenbrei aus Äthiopien, Currys aus Indien,
schwedische Haferkekse und ganz besonders exotisch: Die original, deftige
Nürnberger Rostbratwurst. Für einen Moment bin ich tatsächlich etwas stolz,
denn in der Tat gibt es eine Sache, die die Engländer überhaupt nicht hin
bekommen: Eine vernünftige Grillwurst!
Verkaufsstand: Zum exotischen Deutschen |
Unter der Brücke |
Ich will das haben! |
Und das auch! |
Und das erst recht! |
Das nicht so unbedingt (mit Fleisch gefüllte Pies) |
Vegetarische Spezialitäten! |
Ich kann nicht anders als jeden
einzelnen Stand zu begutachten und all die unterschiedlichen Aromen zu inhalieren.
Mein Magen und meine Geschmacksknospen schreien inzwischen wie ein quengelndes
Kind, das sich vor der Supermarktkasse auf den Boden geworfen hat. Kauf mir
das! Kauf mir das! Ich will das essen! Und das essen! Und das hier auch noch!
Doch wie so oft: Ist die Auswahl zu groß, verliert man irgendwann den
Überblick und entscheidet sich letztendlich für gar nichts. So taumle ich
einfach weiter, getragen auf der Welle der Eindrücke und vergesse immer mehr
die Zeit. Immer wieder finde ich kleine Gassen, die vom Geschehen abgehen und
mich zu verträumten Hinterhöfen lotsen. Es ist wie eine Schatzsuche
und ich möchte keinen einzigen der verborgenen Edelsteine Londons verpassen.
Hinterhofkunst. Da wird man wenigstens nicht nass. |
Es hat einen Vorteil, wenn man alleine unterwegs ist. Leider kann man das Erlebte
nicht mit jemandem Teilen und sofort besprechen, aber so ist man vollkommen auf
die Eindrücke fixiert, wird von nichts abgelenkt und kann sie aufsaugen wie ein
durstiges Tuch.
Erst nach einer ganzen Weile merke ich, dass nicht nur mein
Geist durstig ist, sondern auch meine Kehle. Seit dem Frühstück sind bereits
einige Stunden vergangen und ich habe in der ganzen Zeit noch nicht einen Schluck getrunken.
Zudem muss ich die Uhr im Auge behalten, denn heute Abend steht das nächste
Theaterstück an. Ich beschließe also endlich eine Pause zu machen und
entscheide mich für einen kleinen Snack am äthiopischen Stand. Meine Wahl fällt
auf ein vegetarisches Ensemble, farbenfroh
angerichtet von der Verkäuferin. Alleine beim Anblick läuft mir bereits das Wasser im Mund zusammen. Das
Essen hält was es verspricht und wenn es nicht so dämlich aussehen würde, würde
ich am liebsten den Imbisskarton auslecken.
Sieht komisch aus, war aber VERDAMMT lecker! |
Meine Mahlzeit nehme ich
auf einem kleinen Mauervorsprung an einem Seitenarm der Themse ein. Hinter mir
parkt ein riesiges Segelschiff. Ein originaler Nachbau des Schiffs auf
dem Sir Francis Drake als erster Engländer die Welt umsegelt hat. Und dann
fällt mir plötzlich wieder ein warum ich überhaupt hier gelandet bin!
Shakespeares Globe.
Als ich meine Karte zücke merke ich, dass ich meinem Ziel
bereits viel näher bin als gedacht. Nur ein paar hundert Meter weiter lande ich
am Ufer und dort, im weißen Fachwerkstil, erstrahlt das Theater. In
Mitten von modernen Gebäuden steht es hier wie ein Fels in der Brandung. Als
hätte jemand ein Stück aus dem alten London geschnitten und in der heutigen
Zeit wieder eingeklebt. Endlich. Voller Vorfreude steuere ich auf den Eingang
zu und… laufe vor die geschlossene Tür. Hinter mir höre ich, wie ein Tourist
Guide einer Gruppe von Akne geplagten Teenagern erklärt, dass das Theater nur Vormittags
besichtigt werden kann. Die
Teenager scheint das herzlich wenig zu interessieren. Mich schon. Der Kirchturm
nebenan schlägt drei Uhr Nachmittag. Mist.
Wie ich schon sagte, Vorbereitung
ist alles. Aber andererseits, wäre ich mit ihr jemals im Schlaraffenland
gelandet? Ich glaube nicht. ;-)
Stay
Professional
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