10.08.2015,
der Tag der Tage auf den ich schon das ganze Jahr hin gefiebert habe. Ja, es
geht mal wieder nach London. Also Rentner machen ja ganz gerne jedes Jahr im
gleichen Club ihren von A-Z einstudierten Pauschalurlaub. Da weiß man was man hat, kennt das Essen und
vor allen Dingen Murat, den Kellner des Vertrauens, der kümmert sich immer
besonders nett.
Bei
mir verhält es sich da ja irgendwie auch ein bisschen so. Einmal im Jahr London
wär schon ganz nett, wenn es Finanzen und Zeit zulassen. Da weiß ich worauf ich
mich einlasse.
Das
war es aber dann auch schon mit der Ähnlichkeit zum Club Las Sombreros, oder
wie sie alle heißen. In London läuft für mich nie irgendwas nach Plan und jedes
Mal werde ich von Überraschungen überrumpelt. Bisher waren sie aber allesamt
positiv, weswegen ich einfach nicht genug bekomme von dieser Stadt.
Somit
geht es also auch an besagtem Montag wieder mal gen britisches Eiland.
Da
Fliegen nicht so unbedingt zu meinen Lieblingsbeschäftigungen gehört (ja, im
Notfall geht das auch, aber ich bleibe irgendwie doch lieber mit den Füßen auf
dem Boden), lasse ich mich lieber per Zug unter Tonnen von Wasser, sprich der
tobenden Nordsee, her transportieren. Ist bestimmt ungefährlicher… *hust*
Meine
Reise startet am Kölner Hauptbahnhof. Ich war mutig und hatte in einem Anflug
von Größenwahn genau während des Bahnstreiks Tickets bei der DB bestellt. Hätte
in die Hose gehen können, aber mein Mut wurde belohnt mit Tickets zu Spottpreisen,
da sich zu dieser Zeit niemand getraut hatte. Ich war sogar mal richtig
dekadent und hab für nur 10 Euro mehr, erste Klasse reserviert. (Man merkt, die
Bahn hatte es zu der Zeit richtig nötig.)
Mit
einem Hochgefühl, wie es wahrscheinlich nur Carmen Geiß erlebt, stehe ich am
Bahnsteig und warte auf mein Luxustransportmittel. Zuverlässig wie immer trudelt
der ICE mit 20 Minuten Verspätung auf Gleis 5 ein.
Als
ich in das Abteil einsteigen will stelle ich ernüchtert fest, dass man mir
keinen roten Teppich ausrollt. Es ist noch nicht einmal jemand da, der mir das
Gepäck schleppt. Dabei hatte ich doch extra ein paar Pflastersteine eingepackt
um zu sehen wie viel der Herr Schaffner so hochgedrückt bekommt. Mist.
Zwei
ausgerenkte Rückenwirbel später sitze ich dann in meinem Abteil. Ich habe
tatsächlich einen Einzelsitz! Wahnsinn! Einen EINZELSITZ!
Ich
schwebe vor Freude über den Wolken, stürze aber sofort unsanft ab als ich meine
Füße ausstrecke. Ich bin zu klein! Zu klein für diesen verdammten Sitz. Meine
Füße erreichen nur knapp die Fußstütze des Vorderplatzes. Ein Traum für jeden 2
Meter Mann. Genau das Gegenteil für eine Person von meiner Statur. Die Füße
baumeln in der Luft und innerhalb kürzester Zeit werden mir die Adern von der unbarmherzigen
Sitzkante abgedrückt. Na wunderbar. Zwei Stunden Fahrt mit eingeschlafenen
Beinen in Dauerschleife.
So
langsam wird mir bewusst, dass mir die erste Klasse mit voller Wucht zeigt,
dass sie mich nicht haben möchte. Ich bin ein Fremdkörper im Magen des
Oberklasse Walfischs und er versucht mich bereits jetzt wieder heraus zu
würgen.
Als
der Zug anfährt knallt etwas hinter mir. Mein Koffer ist aus dem Gepäckfach
gerutscht. Ich versuche es zu ignorieren und tue einfach so als wäre es nicht
meiner. Dann bleibt er halt da liegen. Dummerweise reisen mit mir fast
ausschließlich Geschäftsleute. Ob es wohl sein könnte, dass einer von denen mit
einem riesigen, pinken Koffer mit lustigem, grün getupften Kofferband reist?
Niemand
scheint die umgefallene Spielzeugkiste zu stören, also lehne ich mich zurück
und beschließe die Fahrt zu genießen.
Da
habe ich aber nicht die Rechnung mit meinen Mitreisenden gemacht.
Während
es bei meinen bisherigen Fahrten im Holzklassewaggon maximal eine
Lärmbelästigung durch übersteuerte Kopfhörer, die Scooter durch das Hirn ihres
Trägers blasen kam, ziehen die Geschäftsleute wie auf Kommando ihre Waffen. Sie
sind allesamt sehr gut ausgebildete Scharfschützen und ihre Geschütze heißen
I-Phone, Samsung und Blackberry.
Sofort
bekomme ich die Betriebsgeheimnisse von mindestens 30 Firmen auf einmal mit.
Dummerweise kann ich sie im Stimmengewirr nicht brauchbar verwenden. Den
Einzigen, den ich verstehe ist der Mann direkt hinter mir. Doch das Gespräch ist
wie ein akustischer Unfall. Man will eigentlich weghören, kann aber nicht.
Ausnahmsweise
scheint es sich hier wohl um ein privates Gespräch zu handeln. Das erkenne ich
recht schnell daran, dass der Part am anderen Ende der Leitung anscheinend ein
PC Legastheniker ist.
„Ok,
dann schalte mal den PC an. Ja… ja genau… nein, du musst ein bisschen warten…
ja… Mensch das dauert halt bis der hochgefahren ist. … … Ja, bis der an ist!“
Es
folgt eine kurze Zeit des Schweigens.
Dann:
„So, dann nimmst du jetzt mal die Maus und öffnest den Explorer. Unten links in
der Startleiste. … Wie da ist keine Startleiste? Natürlich ist da eine
Startleiste! Links unten! Du musst da mit der Maus hin gehen… !“
Vor
meinen Augen bildet sich eine Szenerie mit einer vollkommen verzweifelten Hausfrau,
die sich den ganzen Tag um die Kinder und nichts anderes kümmern muss. PC, das
fremde Wesen.
„Unten!
Nein unten links! Mit der Maus! … Was meinst du da ist kein Mauszeiger zu
sehen? Aber du hast doch eben schon da drauf geklickt? Nein… Explorer! Nicht
Word!“
Ich
revidiere meine vorherige Annahme und wechsle von der verzweifelten Hausfrau
auf die betagte Mutter des Telefonierenden.
„So,
genau. Und jetzt klickst du mit der rechten Maustaste. Zwei Mal!… Nein … zwei
Mal! Schneller. Nein, du musst schnell klicken! Zwei Mal! Jetzt bleib doch mal
ruhig!“
Ok…
ich glaube es ist doch eher die Großmutter.
„Und
dann geh auf Datei öffnen. Datei…
öffnen. Datei… öffnen. Datei… öffnen…. Datei… öffnen…“ Er wiederholt das so stoisch, dass ich
versucht bin ihn mal kräftig an zu stoßen damit die Platte endlich weiter
laufen kann.
„Was?“
Ich
schrecke hoch.
„Wie
bist du denn jetzt da drauf gekommen? Nein! Nicht da drauf. Auf die Datei da
drunter. Jetzt hör mir doch bitte einmal richtig zu.“
Nein,
es kann nicht die Oma sein. Höchstwahrscheinlich ein 4 jähriges Kleinkind, aber
die können ja mittlerweile schon besser mit so einem Zeug umgehen als
unsereins.
Endlich
hat der Mann ein Einsehen und begibt sich aus dem Abteil.
Ich
atme auf und lehne mich zurück. Endlich mal ein paar Minuten Ruhe.
Doch
diese Idylle wird umgehend gestört durch den Schaffner, der stolz ein
exklusives Geschenk der Deutschen Bahn an die elitären Gäste der ersten Klasse
verteilt.
Eine
mini Tüte Gummibärchen. …
Das
Verkehrsunternehmen hat keine Kosten und Mühen gescheut, doch ein Produkt der
Marke mit den goldenen Buchstaben wäre wohl zu viel verlangt gewesen. Somit
halte ich jetzt ein sicherlich ebenso schmackhaftes Alternativfabrikat aus
Ostasien in den Händen.
Der
Schaffner geht weiter durch die Reihen, die Gäste nehmen brav jeder nur ein
Tütchen. Sofort schwappt eine knisternde Welle von hinten nach vorne durch den
Zug. Sie beginnt hinter mir, dann stimme ich raschelnd mit ein und langsam
wälzt sie sich dramatisch anschwellend nach vorne, bis der Schaffner das letzte
Päckchen verteilt hat.
Ich
bekomme die verdammte Tüte nicht auf! 5 winzig, kleine, künstlich, bunte
Gummitierchen grinsen mich frech unter dem Papier an, aber so sehr ich mich
auch bemühe, das Zellophan lässt sich nicht auseinander reißen.
Sollbruchstelle, Pustekuchen.
Meinen
Mitreisenden geht es ähnlich. Die Geräuschkulisse schwillt an und formiert sich
zu einem wütenden Rascheltsunami. Der Kampf der Reisenden 300 um die
spartanischen Gummitiere wird zur blutigen Schlacht. Meine Fingernägel bohren
sich in das Fleisch meiner Finger, ich atme tief ein, ziehe ein letztes Mal und
als das Papier mit einem Mal reißt, gibt es kein Halten mehr. Die Gummitiere
entspringen ihrem durchsichtigen Gefängnis… .
Langsam
wird es ruhiger im Abteil, die Schlacht ist beendet, Verletzte werden
verarztet, Tote begraben, in dem Fall im Magen ihrer Schlächter.
Meine
Opfer allerdings nicht. Die liegen unter dem Sitz meines Vordermannes.
Mir
reicht es. Frustriert lehne ich mich zurück, schließe die Augen und versuche
von England zu träumen.
„Genau!
Ja, … und jetzt machst du das Fenster wieder zu. Das Fenster! Mit dem X oben in
der Ecke. Oben! Oooooben!“
Oh
Mann. Hoffentlich sitze ich bald im Eurostar. Aber ob es da besser wird? Dazu
komme ich dann im nächsten Eintrag.
Stay
Professional!
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