Montag, 24. August 2015

20.000 Meilen unter dem Meer. Oder: Es ist nicht alles fett was glänzt!

10.08.2015 Teil 2:

Ich bin eigentlich ein sehr toleranter Mensch. Nur wenn es um Laktose geht, scheine ich ab und zu gegen meine Prinzipien zu verstoßen. Vielleicht liegt es aber auch einfach daran, dass der verlockende Oreo Shake aus zwei Päckchen Schlagsahne, verquirlt mit 15 schwarzen Cremekeksen bestand. Diese heimtückisch, komprimierte Mixtur hätte wahrscheinlich jeden Magen lahmgelegt, der nicht vorher mit Klarlack ausgegossen wurde. Wieso denkt man eigentlich immer, dass flüssiges automatisch weniger ungesund ist? Man käme nie auf die Idee 12 Stückchen Würfelzucker zu essen. Eine Dose Cola kippt man aber dennoch einfach so herunter. Ähnlich verhält es sich mit meinem Shake. Ein Pfund Butter wäre bekömmlicher gewesen, aber so etwas isst man ja nicht.  Aber er hat doch sooo gut geschmeckt.

Und jetzt? Jetzt sitze ich im Eurostar Zug auf dem Weg von Brüssel nach London und habe das Gefühl mein Magen explodiert. Immerhin, auch im Eurostar darf ich den Luxus der ersten Klasse genießen. Ok, ich gebe zu, die Inneneinrichtung des Zuges sieht aus als stamme sie original aus den 80er Jahren, und der Kopfstützenbezug meines Sitzes wurde von seinem Vornutzer netterweise sorgfältig eingeölt. Aber: Auch hier habe ich einen Einzelplatz und darüber bin ich jetzt sehr, sehr froh. Ich nehme eine fötale Stellung an und lehne meinen Kopf an die Fensterscheibe. Atmen… gaaaanz tief ein und auuuus aaatmen. Ich versuche mich voll und ganz auf  diese einfache Sache zu konzentrieren, doch etwas irritiert mich:
Zwei Plätze neben mir sitzt ein Belgier. Ich schätze er steht kurz vor der Rente. Rein optisch irgendwo zwischen Woodstock und Route66 hängen geblieben. Graue Haare, kombiniert mit einem Gummiband, das verzweifelt versucht dünne Strähnen in Form eines Zopfes beisammen zu halten.
Eigentlich mag ich ja unkonventionelle Typen, aber muss dieser denn ausgerechnet jetzt ohne Punkt und Komma mit seiner Begleiterin quatschen? Das Schlimme ist eigentlich nicht die Lautstärke. Vielmehr ist es die Reaktion, die dadurch in meinem Kopf ausgelöst wird. Belgisch ist eine Sprache, die das deutsche Gehirn für kurze Zeit versteht. Dann kommt es aber urplötzlich vom Weg ab, so dass man ruckartig hochschreckt, weil man denkt man erleide gerade einen Schlaganfall. Nicht so wie das niedliche Gesäusel eines Niederländers, dem ich für meinen Teil stundenlang zuhören könnte. Nein, der Belgier klingt in der einen Minute wie ein stark angetrunkenes, Kölner Urgestein, und mutiert in der nächsten zum Ureinwohner eines noch unentdeckten Kontinentes. Just in dem Moment als ich mich damit abgefunden habe nichts mehr zu verstehen, tauchen plötzlich wieder klare, zusammenhängende Sätze auf. Ergo: Mein Kopf  befindet sich in Daueranspannung.

Des Rätsels Lösung kommt in Form meines Smartphones daher. Kopfhörer aufsetzen und das Umfeld ausblenden. Während ich den vertrauten Klängen von Muse lausche, entspannen sich nicht nur meine Synapsen sondern auch mein Magen. Ich gleite auf einer weichen Wolke aus sphärischen Klängen daher, bis mir irgendjemand  mit einer gusseiserne Tuba auf den Kopf drischt.  Ich schnelle nach oben und stelle fest, dass es sich nicht um ein Musikinstrument handelt, sondern um den Essenstrolley, den der charmante Zugbegleiter zielsicher gegen die schlafenden Gäste manövriert.
„Madame, we are serving lunch now.“, säuselt er in plakativem Frenglisch.
“Hä?” Ich brauche eine Weile bis ich begreife, dass ich immer noch in einem Zug sitze und der galant, aufdringliche Herr neben mir kein Flugbegleiter ist. Verdammt im Eurostar bekommt man in der ersten Klasse Essen serviert? Ich meine, so richtiges Essen? Nicht nur ein paar verschweißte Süßwaren aus Ostasien? Mist! Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich mir den Shake gespart. Allerdings… als der junge Mann mit etwas das nach Pansen aussieht vor meiner Nase herumfuchtelt, vergeht mir der Appetit. Ich bin mir sicher, das "Coq au Magenschleimhaut" wird der meinen überhaupt nicht gut tun, und lehne dankend ab. Die kostenlose Wasserflasche sacke ich mir dennoch ein. Kann nicht schaden. Der Belgier nebenan nimmt dankend an und auch bei der Weinauswahl greift er beherzt zu. Mein Magen findet das alles allerdings gar nicht lustig und beschließt mit doppelter Kraft die Muskeln spielen zu lassen. Wenn es etwas Schlimmeres gibt als auf einem versifften Discoklo zu pinkeln, dann ist es mit Magenfaxen eine Zugtoilette aufsuchen zu müssen. Wenn man es denn überhaupt bis dahin schafft… denn der Weg zum WC wird mir erbarmungslos vom Trolley versperrt. Keine Chance auch nur auf zu stehen. Der Zugbegleiter hat meine Ablehnung des Essens wohl mit „Klar, stell deinen ganzen Kram einfach mal für 30 Minuten neben meinem Platz ab!“, verwechselt.

Aaaaatmen… gaaaanz tieeef einaaatmen!
Plötzlich wird es dunkel. Ich befürchte eine herannahende Ohnmacht, merke dann aber, dass wir soeben in den Eurotunnel gefahren sind. Na wunderbar. Ich werde Kilometer unter der Nordsee, kläglich an einem Sahneshake verrecken. Mein Blick wandert zur Seite. Wenn ich mich jetzt in den Trolley übergebe, fällt das bestimmt niemandem auf. Nein, das kann ich den Mitreisenden nicht antun. Der Belgier ordert schon Nachschlag. Den bekommt er in Form einer Bierdose.
Ich setze meine Kopfhörer auf und versuche mich wieder auf die Musik zu konzentrieren. Ganz langsam löst sich meine Anspannung. Der Speichelfluss in meinem Mund hört auf, ich kann mich wieder gerade hin setzen. Ich entspanne, falle in einen See aus zarter Seide, der mich wie Balsam einhüllt…, dann zieht jemand den Stöpsel und ich falle auf den harten Meeresgrund. Der Trolley poltert zur Seite. Vor mir taucht das Gesicht des Zugführers auf. Seine Hände wedeln mit einer Kaffekanne.  Er sagt etwas, aber ich verstehe kein Wort. Ich rupfe die Kopfhörer aus meinen Ohren und merke dann, dass ich auch ohne Worte das Szenario hätte deuten können.
„Do you want some Coffee?“
„NEIN!!! VERDAMMT NOCHMAL NEIN! ABER I WANT ENDLICH MY F…ING RUHE!”, denke ich.
„No thank you.“, sage ich. Neben mir öffnet der Belgier zischend die nächste Bierdose. Er zelebriert diesen Moment des Triumphes mit einem höchstzufriedenen Rülpsen.Ich sehe mich empört um, doch keiner der Mitreisenden reagiert. Vielleicht gehört das in Belgien ja zum guten Ton. Einem sehr tiefen Ton,  mit geruchlicher Beilage aus halb verdauter Salami.  Ich seufze und lasse mich zurück in den Sitz fallen. Als ich unbedarft meine Beine ausstrecke, wird mein rechter Fuß vom weiter rollenden Trolley überfahren. Dem Zugbegleiter fällt es nicht auf und ich habe noch nicht einmal einen Grund mich zu beschweren, denn endlich wurden meine Magenschmerzen von einem anderen Leid abgelöst. Aber das ist ok, denn immerhin muss ich mich damit nicht zum Klo schleppen.

Als wir den Tunnel verlassen hat der Shake allein durch meine Atemtechnik kapituliert und mir geht es wesentlich besser. In weniger als einer Stunde werde ich in London ankommen. Dann heißt es: Beine in die Hand nehmen, denn noch am gleichen Abend steht der erste Theaterbesuch an.

Was nach meiner Ankunft passierte und ob ich es noch rechtzeitig zur Vorstellung geschafft habe, das erfahrt ihr im nächsten Eintrag.





Stay Professional!

Bitte gehen Sie weiter. Hier gibt es nichts zu sehen... mir geht es gut...

Da isser... der EVIL SHAKE!

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