Dienstag, 5. Mai 2020

Corona Tag X+55: Alltag

05.05.2020

Liebes Tagebuch...

Bitte WAS???!!!
Wie viele Tage sind seit meinem letzten Eintrag hier vergangen? Vierundvierzig?!!?? 
Ich bin tatsächlich baff. 
Einerseits darüber, dass ich über einen Monat lang nichts mehr geschrieben habe, andererseits darüber, wie lange wir jetzt schon in der ganzen Corona Situation hängen. 
Inzwischen fühle ich mich in der Isolation ein bisschen wie Tom Hanks auf seiner verlassenen Insel. Aber im Gegensatz zu einem stummen Volleyball, habe ich immerhin einen recht redseligen Zweijährigen an meiner Seite. Wobei, die Tatsache, dass er mir das Wort „Mama“ in gefühlt dreitausend Tonlagen und Lautstärken immerfort um die Ohren haut, macht die Situation nicht zwingend einfacher. 
Ich darf mich ja wirklich nicht beschweren. Wir haben ein großes Haus mit Garten und ich muss mir in der Elternzeit, nicht, wie so viele, unbeneidenswerte Menschen, Kind (Homeschooling), Haushalt UND Homeoffice gleichzeitig um die Ohren schlagen. Dennoch sehne ich mich mitunter auch nach Kontakten, die nicht fünf Tage am Stück mit mir im Sandkasten Kindergeburtstag spielen wollen und mich dabei mit Sandkuchen füttern. Dazu noch das Loblied auf das fiktive Geburtstagskind in Dauerschleife:

 „Happy Birthday to you, 
Marmelade im Schuh, 
Aprikose in der Hose, 
Happy Birthday to you!“ 

Spätestens jetzt bereut man bitterlich, dem Zögling kein vernünftiges Liedgut beigebracht zu haben. 

Ich habe zwischendurch schon überlegt, mich zur Abwechslung einfach mal spontan in irgendeine Videokonferenz einzuhacken. 
Mit Chipstüte und Bademantel plötzlich bei Siemens im Vorstandsgespräch aufpoppen und den verdutzten Business Leuten mit halb vollem Mund sagen: „Machen Se ruhig weiter. Lassen Sie sich von mir nicht stören.“ 

Stattdessen tigere ich wie ein hungriges Raubtier, Tag für Tag durch die (a)sozialen Netze, auf der Suche nach Trost und Unterhaltung. Doch da herrscht nur noch Mord und Totschlag. Selbst im Ikea geht es, seit Einführung der neuen Abstandsregelung, gesitteter zu. 

Vorbei sind auch die Zeiten, in denen ich eine der Wenigen war, die freiwillig im Laden eine Gesichtsmaske getragen haben. „Damals“ konnte man sich an der Kasse wenigstens noch den Weg freibahnen indem man unter dem Gesichtskostüm einfach laut rief: „Ich bin Arzt! Lassen Sie mich durch!“ 
Mittlerweile muss halt jeder so ein Teil tragen. …Was vielleicht auch erklärt, dass sich alle plötzlich so aufführen als hätten sie Medizin studiert. 

Immerhin fällt es unter so einer Maske nicht auf, dass mein Gesicht mittlerweile so aussieht als hätte ich in ner Packung Dickmanns geschlafen. Mir wird langsam bewusst, dass die wöchentlichen Termine bei Krabbelgruppe, Kinderturnen und Babyschwimmen wohl eher der Mutti als Fitnessprogramm und Beschäftigungstherapie dienten, anstatt den Sohnemann zu entertainen. Der schlägt sich in dieser Krise nämlich hervorragend und zeigt keine Spur von Ermüdung… auch nicht Nachts. Meine Augen sind mittlerweile zu kleinen Schlitzen verkommen, so dass ich mit Gesichtsmaske aussehe wie ein verkleideter Briefkasten. 

Und über die Frisur, darüber möchte ich eigentlich gar nicht reden. Ich glaube nicht mal, dass es ein Haaransatz ist, der sich da über meinem Kopf ausbreitet. Viel mehr bin ich der Überzeugung, dass diese grauen Dinger auf meinem Haupt eigentlich geschmolzene Gehirnmasse sind, die sich träge durch die Poren meiner Kopfhaut drückt, als würde man ein Pfund Knete durch ein Teesieb quetschen. 

Ja, mir fehlt die Abwechslung außerhalb des Hauses, ja mir fehlen Erwachsenengespräche und nur per WhatsApp oder Telefon ist es irgendwie trotz allem, nicht das Gleiche. Aber es hilft ja alles nix. Ich bin nicht die Einzige, die da durch muss und das verschafft mir dann doch immer wieder etwas Trost und Mut. Wir ziehen alle an einem Strang. 
Wir sind auf paradoxe Art und Weise, eben NICHT allein.  

Ich für meinen Teil habe dann heute mal etwas Abwechslung auf den Stundenplan gebracht. Sohnemann ab ins Auto verfrachtet und die Oma besucht. Bevor jetzt alle die gut gewaschenen Hände über dem Kopf zusammenschlagen: Wir standen in einigen Metern Entfernung vor ihrem Balkon. Anschließend ging ich mit dem Nachwuchs zum nahe gelegenen Bach, wo er kleine Steine sammelte und diese vergnügt in das Gewässer warf. Bei jedem lauten Platscher gluckste er vor Freude. 
Und dann passierte etwas Wunderbares: Neben dem Bach gibt es ein Altenheim und aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie sich immer mehr Fenster öffneten und weißhaarige Menschen mit sehnsüchtigem Lächeln die Szenerie beobachteten. 
Da spielte dieser kleine, unbedarfte Junge mit seinen Steinchen und lachte so hell und unschuldig, dass es sich anfühlte als risse er alle Steine von unseren Herzen, um sie anschließend auf Nimmerwiedersehen im Bach zu versenken. 
Doch der Tag neigte sich dem Ende zu und ich erinnerte den kleinen Mann daran, dass wir jetzt langsam mal wieder nach Hause fahren müssen...
Daraufhin schmiss er sich auf den Boden, brüllte wie ein Kakadu auf Speed und warf mit Dreck nach mir. Hinter mir hörte ich, wie sämtliche Fenster des Altenheims nahezu synchron verschlossen wurden. Dahinter schüttelten weißhaarige Menschen verächtlich ihre Köpfe.

Ha! Plot Twist, wa?
Ihr hattet jetzt gedacht, dass ich euch hier mit ner rührigen Geschichte den Abend versüße. 
War wohl nix, denn manchmal sind kleine Jungs mitten in der Trotzphase einfach nur anstrengende Rotzbengel und Senioren einfach nur meckernde Menschen, denen Rotzbengel auf die Nerven gehen. 
Aber mal ganz ehrlich: Das ist auch gut so. Denn das ist menschlich und halt auch ganz normaler Alltag. 
Alltag, den wir uns alle irgendwie wieder herbeisehnen.

In diesem Sinne: Bleibt positiv und ernährt euch… nicht so wie ich.



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