Dienstag, 7. Juni 2016

Camden. Oder: Der Tag an dem ich dem weißen Kaninchen folgte

12.08.2015 (Teil 1)

In diesem Kapitel geht es unter anderem um Handtaschen, und die Tatsache, dass ich in Sachen „Preisverhandlungen“ eine absolute Niete bin. 
Ich will es mal so beschreiben: Würde man mich auf einen türkischen Basar schicken, ich wäre vermutlich die einzige Person, die für ihren Einkauf letztendlich mehr bezahlt als ursprünglich ausgezeichnet war. 
Aber mehr dazu später. 

Heute stehen keinerlei Theaterbesuche an. Ich habe also einen ganz entspannten Tag und kann mich einfach treiben lassen. Es zieht mich in den Stadtteil Camden, denn ob ihr es glaubt oder nicht, das letzte Mal war ich vor 25 Jahren dort und das Einzige an das sich mein marodes Gehirn erinnern kann, ist eine kilometerlange Menschenschlange vor dem einzigen, verfügbaren Geldautomaten. 

Wenn man in London in der U-Bahn sitzt und die Passagiere aufmerksam beobachtet, dann sieht man, dass in bestimmten Bezirken auch gewisses Klientel ein und aussteigt. 
Da sind die emsigen und schwitzenden Anzugträger, die sich in Central London durch die gefliesten U-Bahn Stationen quetschen. 
Im Bereich von Big Ben übernehmen tausende Touristen mit Rucksack auf dem Rücken und Fotoapparat um den Hals die Vorherrschaft. 
Diese Touristen machen sich zwar auch auf den Weg nach Camden, dennoch vermischen sie sich plötzlich mit jeder Menge interessanter Individuen, die Camden ihre Heimat nennen.
Da ist der tiefenentspannte Dreadlock Träger, der rothaarige Musiker mit Gitarrenkoffer, das zierliche Mädchen mit selbstgehäkeltem Rock und kleinen Glöckchen auf den Schuhen, die ihre leichtfüßigen Schritte akustisch untermahlen. Sie wirkt wie eine Öko Tinker Bell, nur ohne Flügel. Die könnte sie bei dem Gedränge in der U-Bahn Station Camden Town allerdings auch gar nicht ausbreiten. 
Ich folge den skurrilen Gestalten, kann mich dem Strom nicht mehr entziehen und werde plötzlich wie Alice im Wunderland durch ein dunkles Röhrensystem geschleudert. Es gibt kein Zurück mehr, nur noch nach vorne. 
Dann sehe ich Licht am Ende des Tunnels und werde mitsamt der Menschen um mich herum, wie eine Flutwelle auf die Straße gespült. 
Es dauert einen Moment bis sich meine Augen an das Tageslicht gewöhnt haben und als ich endlich wieder sehen kann bin ich mir sicher: Ich bin in einer anderen Welt gelandet. 
Die Häuserfassaden der Läden links und rechts von mir, leuchten in knallbunten Farben. Auf  ihnen kleben wie überdimensionale Kühlschrankmagnete, bunte Plastiken, die anzeigen, was es hier zu kaufen gibt. So hängen zum Beispiel am Schuhladen, riesengroße Sneaker an der Fassade. 










Hier draußen entzerrt sich die Menschenmasse wieder und so lasse ich mich gemütlich treiben und versuche meine Kinnlade unter Kontrolle zu halten, die sich kindlich staunend immer wieder gen Erdboden verselbstständigt. 
Gerade als sich mein Gehirn wieder versucht in die Realität zu kämpfen stehen sie vor mir:  Der verrückte Hutmacher, Alice und ein weißes Kaninchen veranstalten auf der Straße eine Teeparty. 
So sehr ich mir die Augen auch reibe, sie verschwinden nicht. Irgendwas muss heute Morgen in meinem Frühstück gewesen sein. Anders kann ich mir das nicht erklären. 
Na gut, letztendlich sind es einfach nur sehr überzeugende Straßenkünstler mit denen man gegen einen kleinen Obolus ein paar gelungene Fotos machen kann. Aber es ist schon ziemlich skurril, in Mitten von Autos und Menschen eine liebevoll gedeckte Teetafel zu finden. 

Teeparty in Mitten von London

Mutti, mit Mikey Mouse stimmt was nicht...


Ich ziehe weiter, und biege am Camden Lock in eine hell gemauerte Markthalle ein. 
Wenn es einen Ort auf dieser Welt gibt an dem man sich an seltsamen, kitschigen, niedlichen, selbstgemachten, kultigen, (hier weitere, beliebige Adjektive einsetzen)… Dingen arm kaufen kann, dann hier. 
Es gibt Uhren, Frühstücksbretter, T-Shirts, Kalender, Bilderrahmen, Ringe, Anhänger, aufblasbare Tiere, Sonnenbrillen, Straßenschilder, Kugelschreiber, Schallplatten, Stühle, Lampen, Tische, Hund, Katze, Maus, Pferd… Meine Sinne sind spätestens jetzt vollkommen überfordert und verfallen in einen Farbrausch ähnlich der Schlusssequenz aus Stanley Kubriks 2001 Space Odyssey. 
Entweder ich bin bekifft oder mein Kopf kommt einfach nicht mehr mit. 
Aber es fühlt sich toll an! 
Ich schwimme in einem Meer aus Farben, Gerüchen und Gesprächsfetzen, die ich hier und da aufnehme. Und am liebsten würde ich ALLES kaufen. 
Die Umstände lassen mich zu einem alternativen Hippie mutieren und auf einmal möchte ich unbedingt einen farbenfrohen Pullover mein Eigen nennen. Kostenpunkt 25 Pfund. 
Ob man hier wohl auch handeln kann? 
Ich gehe mutig zum Verkäufer, zeige auf die Ware und frage mit klopfendem Herzen: „Can I have it for 18 Pounds?“ („Kann ich den für 18 Pfund haben?)
Der Verkäufer sieht mich an, nickt und packt mir den Pulli ohne Widerworte in eine Plastiktüte. Ich stehe da wie gelähmt. 
Echt jetzt? 
So einfach ist das? 
Hätte ich da etwa noch mehr rausholen können? 






Ein paar Ecken weiter lacht mich eine braun - weiß gepunktete Tasche an. Sie kostet 22 Pfund. Ich will auf 15 Pfund runter. Doch dieses Mal habe ich die Rechnung nicht mit dem Händler gemacht. 
(Ich schreibe den Dialog jetzt mal der Einfachheit halber auf Deutsch)
Er: „Nein, das geht nicht! Das ist allerbeste Ware.“
Ich: „Ja aber der Stand dort hinten hatte die Tasche für 15 Pfund“ (Das ist natürlich eine taktische Lüge. Habe die Tasche vorher nirgendwo gesehen)
Er: „Aber dieses Material hier ist besonders hautfreundlich“ (Seine Hand fährt durch das Innenfutter und ich habe das Gefühl bereits jetzt tanzen kleine Funken auf seinen Fingern, ausgelöst durch das hautfreundliche Polyester)
Ich: „Nein, das mache ich nicht. Dann gehe ich zu dem anderen Händler.“
Er: „Ich glaube nicht, dass es die Tasche für 15 Pfund gibt. Sehen sie, die hier hat sogar einen Tragegriff!“
Ich: (Innerlich: Ach nee) „Äh… ja… schön… aber…“
Er: „18 Pfund!“
Ich: „Aber ich möchte doch nur…“
Er: „18 Pfund!“
Ich: „Ähm… aber… also… ne…“
Er: „18 Pfund!“  Dabei hält er mir die Hand hin.
Ich: „Also… ich…“
Er: „Deal?“
Ich: „Asfggggffrfff…“
Er: „Ok! Deal!“
Wir besiegeln den Kauf mit einem festen Händedruck, der durch einen statischen Stromschlag in meine Finger vervollständigt wird. 
Hautfreundliches Polyester. Sehr schön.

Ich bin jetzt also Besitzerin einer neuen Tasche. Immerhin habe ich sie 4 Pfund günstiger bekommen. Stolz nehme ich meinen Neuerwerb entgegen, verlasse den Stand, biege um die Ecke und da hängt das Ebenbild meines gerade so hart verhandelten Damenutensilienbeutels. 
10 Pfund.
Daneben weht ein farbenfroher Pullover im Wind. 
12 Pfund.
Ich hasse mich.  

Wie mein Tag in Camden weiter ging und wie eine dreiste Lüge zum Highlight meines Tages wurde, das erfahrt ihr in meinem nächsten Blogeintrag.  

Bis dahin: 
Stay Professional!

Juhu... ich hab ne neue Tasche... Grrrrrmmmmmffffffgrrrrrmmmmmm.....

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