Ich
mache jetzt mal etwas, das man als Autor eigentlich niemals tun sollte. Ich
löse sofort das Rätsel der Kapitelüberschrift auf. Muss ich, denn sonst macht
der ganze andere Krempel hier keinen Sinn.
Warum
laufen Zombies so seltsam?
Warum schlurfen sie als ob jemand ihnen eine
Eisenkugel ans Bein gebunden hätte?
Die Antwort ist so banal, dass ich zuerst
selbst nicht darauf gekommen wäre: Denen tun schlicht und ergreifend die Füße
weh! Die haben keinen BMW in den sie sich mal eben setzen können, wenn der kleine
Hunger nach menschlichem Gehirn wieder mal zu groß wird. Die nimmt auch kein
Taxifahrer mit und da sie in der Regel die Monatskarte nicht mehr bezahlen
können, dürfen sie auch nicht mehr mit der U-Bahn fahren. Und somit müssen die
armen Zombies jeden Tag unzählige Kilometer zu Fuß hinter sich bringen,
immerwährend auf der Suche nach dem nächsten Leckerbissen.
Das muss einfach so sein, denn genau so geht
es mir gerade.
Nachdem ich seit fünf Stunden ununterbrochen durch London
gewandert bin, habe ich das Gefühl nur noch auf den Stumpen meiner
Unterschenkel zu latschen. Die ursprünglich so bequemen Sneaker stellen sich
als komplette Fehlinvestition heraus und mein Rucksack verwandelt sich mehr und
mehr in einen 100 Kilo Mann, der sich von mir fröhlich Huckepack tragen lässt. Aber
mein Durst nach dem Leben in Londons Straßen treibt mich weiter und weiter. Ich
kann nicht stehen bleiben. Ich muss weiter ziehen, immer mehr entdecken, immer Neues aufsaugen.
Braaaaaaaiiiins! |
Dummerweise hat die Straße in der ich jetzt gelandet bin eher
etwas von einem Friedhof. Kein Mensch weit und breit. Eigentlich sollte ich inzwischen
wieder an der Themse stehen, und eigentlich sollte es hier kleine Cafés und
Shops geben?
Ein Blick auf die Karte verrät mir, dass ich schon wieder
denselben Fehler gemacht habe. Als ich den Stadtplan um 180° drehe erkenne ich,
dass mein richtiges Ziel in der entgegengesetzten Richtung liegt.
Mir reicht
es.
Ich werfe alle meine ursprünglichen Pläne über Bord und beschließe erst
einmal zurück ins Hotel zu fahren. Wenn ich meinen jetzigen Pfad beibehalte,
sollte ich auf jeden Fall an einer U-Bahn Station raus kommen. Das ist dann
schon mal die halbe Miete.
So schlurfe ich weiter, mit glasigem Blick und
dem Gefühl, dass ich jeden Moment im Gehen einschlafe.
Zieh dich cool an, komm nicht wie so ein Tourist daher, versuch dich in
die Menge zu integrieren, gaukle den Leuten vor, dass du Londonerin bist. Das
ist cool! Genau das willst du.
Ja das hatte ich mir vorgenommen als ich das
Hotel verlassen habe. Das Vorhaben ist bereits nach wenigen Sekunden kläglich
daran gescheitert, dass ich mir einen Rucksack aufgeschnallt habe. Ich dachte
ich hätte diesen Fauxpas noch mit hippen Klamotten gut machen können, aber die
bringen leider auch nichts, wenn sich die Trägerin eine fünfzig Kilo schwere
Spiegelreflexkamera um den Hals hängt und vollkommen irritiert in einen
Faltplan starrt.
Als Sahnehäubchen hat die obligatorische Regenjacke nicht mehr
in den Rucksack gepasst und umklammert jetzt plakativ meine Hüfte.
Alleine die
Tatsache, dass ich meinen Ausweis nicht in einem mit Klettverschluss
gesichertem Brustbeutel um den Hals trage, rettet mich wahrscheinlich gerade
davor nicht sofort ausgeraubt zu werden.
Immerhin scheint die Gegend hier
halbwegs sicher zu sein. Die Fahrräder, die überall an die Zäune gekettet sind,
sind jedenfalls alle noch vollständig. Da kenne ich aus Köln aber ganz andere
Bilder. Skelettierte Fahrradrahmen, die sich mit letzter Lebenskraft an ein
rostendes Schloss krallen, sieht man hier seltener.
Übrigens gibt es in London
eine sehr interessante Eigenart sein Fahrrad zu sichern. Da es verboten ist
sein Zweirad an Verkehrsschilder oder Lampen zu ketten, weicht man auf die
zahlreichen Zäune bzw. Gitter aus, die sich um viele der großen Häuser winden.
Allerdings lehnt man sein Bike in London nicht einfach ans Gitter an, sondern
man hievt es nach oben und klemmt es dort in luftiger Höhe fest.
Warum das so
ist? Ich habe keine Ahnung.
Vielleicht dürfen Räder nicht auf dem Gehweg
abgestellt werden, aber wenn sie in der Luft hängen, gibt es keine
Rechtsgrundlage mehr für eine Verkehrswidrigkeit?
Oder man schützt sich so vor
Hunden, die gerne am frisch geflickten Fahrradschlauch ihr Beinchen heben?
Oder
man macht es potentiellen Dieben schwerer, denn die müssen erst einmal
ordentlich Gewichte stemmen um das Fahrrad wieder vom Zaun heben zu können.
Vielleicht ist es sogar umgekehrt, und das würde ich den höflichen
Engländern sogar noch eher zutrauen: So hat der potentielle Dieb das
Fahrradschloss direkt in Augenhöhe und muss sich zum Knacken nicht erst noch
herunter beugen.
Man erkennt, ich habe absolut keine Ahnung. Wer es also weiß,
der möge mich bitte aufklären.
Fahrradständer |
Ich schlurfe also weiter vor mich hin und merke,
dass es um mich herum auf einmal wieder lebendiger wird. In Anzug und Kostümchen
gekleidete Business Leute stolzieren kreuz und quer über die Straße. Als ich
nach oben schaue um mich zu orientieren werde ich von einer frisch geputzten
Glasfassade geblendet. Mein Blick folgt der Glaswand, die einfach nicht enden
will, selbst als ich meinen Kopf in den Nacken lege.
Meine Güte muss ich müde
sein, dass mir dieser Koloss jetzt erst auffällt.
Im Schatten des spitzen
Turmes komme ich mir vor wie eine Ameise, die gerade vor einer Giraffe steht.
Ja, so darf man sich auch fühlen, wenn sich vor einem das aktuell höchste
Gebäude der EU aufbaut.
„The Shard“ steht in schlanken Buchstaben über einem
Seiteneingang. Wieder so eine Sache, über die ich mich vorher überhaupt nicht
informiert habe und die mich jetzt so überrascht wie eine Blondine, die aus
einer Torte springt.
Ich will gerade weiter gehen, da lese ich etwas von
„Aussichtsplattform“.
Moment mal!
Wäre ich ein Hund, meine Ohren würden sich
aufmerksam aufstellen. London von ganz, ganz oben sehen, das wäre doch mal was!
Da Spontanität mein zweiter Vorname ist laufe ich sofort zum Seiteneingang, der
mit der besten Aussicht Londons wirbt. Kleine LED Lauflichter ziehen mich
hinter sich her und so erklimme ich die ersten Treppenstufen zu einem
Höhenrausch der Extraklasse.
Dummerweise endet dieser Rausch bereits nach
dreißig Stufen in Form eines Portiers, der mich von oben bis unten mustert.
„Good afternoon Lady. Are you alone?“ („Guten Tag, sind Sie alleine?“)
Ich
drehe mich natürlich erst einmal verwirrt um und schaue ob jemand hinter mir
gemeint ist. Aber da ist niemand. Ja, dann bin ich wohl alleine. Hätte der
Schlaumeier ja eigentlich in Anbetracht des komplett leeren Ganges, selber
drauf kommen können.
Ich nicke freundlich und bin gespannt was der nette Herr
zu sagen hat. Doch anstatt der sonst so höflichen, britischen
Gastfreundlichkeit starrt mich pures Entsetzen an.
Der Portier sieht aus als
müsste er mir jeden Moment vor die Füße kotzen.
Ja gut, ich bin ein
Touristenzombie, dessen Augenringe sicherlich schon bis zu den Knien hängen,
aber sehen hier nicht alle Touris so aus? Und eine Aussichtsplattform ist doch
was für Touristen, oder? Oder vielleicht ...nicht...?
Auf einmal wächst ein zartes
Pflänzchen namens Zweifel in mir und es beginnt unkontrolliert zu wuchern als
mich der Kerl erst nach einer erneuten, abschätzenden Musterung passieren
lässt. „Please check the prices!“ („Bitte informieren sie sich über die
Preise“), wirft er mir abfällig entgegen.
Vollkommen verunsichert stakse ich in die gläserne Eingangshalle. Der Check in
für den Ausflug in luftige Höhe sieht aus wie an einem Flughafen.
Hinter der Empfangstheke
stehen adrett gekleidete Hostessen, die noch adretter gekleideten Gästen die
Eintrittskarten in die Hand drücken. Links von mir führt ein Gang aus
poliertem, schwarzem Marmor zum Fahrstuhl ins Glück. Rechts von mir steht eine
winzige Preistafel auf dem Tresen.
Ich muss mich weit vorbeugen um überhaupt
sehen zu können was dort steht und auch nach dem dritten Mal lesen muss
irgendwas mit meinen Augen nicht stimmen.
Einmal hoch und wieder runter kosten
37 Pfund. Das sind knapp über 50 Euro. Ich bleibe wie angeflanscht stehen. Ich
habe das Gefühl die Augen dieses arroganten Portiers kleben immer noch auf mir
und wenn ich jetzt sofort umkehre, dann wird er innerlich Tango tanzen. Ganz
nach dem Motto: Hab ich's dir doch gesagt, du heruntergekommener, unvermögender Dorftrampel.
Ich studiere die
Preise erneut. Irgendwas muss ich übersehen haben. So viel, nur für einmal
rauf und runter?
Womit wird der Fahrstuhl betrieben? Mit Kerosin?
Oder haben
die vielleicht sogar das Beamen erfunden?
Im unteren Drittel der Preisliste
gibt es sogar noch eine Steigerung. Kosten für einen Erwachsenen: 46 Pfund.
Dafür darf man dann aber zweimal hoch und runter. Aber auch nur am selben Tag.
Für die, die London einmal bei Tag und einmal bei Nacht von oben sehen wollen.
Zu dumm, dass der Turm bereits um 22 Uhr schließt und es Hochsommer ist. Da ist
um die Uhrzeit noch nicht viel mit „London bei Nacht“. Aber für den Preis
können die Herrschaften vom „The Shard“ sicherlich auch eine Sonnenfinsternis hervorzaubern.
Es nutzt alles nichts. Ganz ehrlich, so gerne ich London mal von
oben sehen möchte, das ist es mir einfach nicht wehrt. Also atme ich tief ein,
spanne meine Schultern, schlucke meinen Stolz herunter und schreite ohne ein
weiteres Wort an dem Portier vorbei, zurück nach draußen.
Aber eines Tages, da
werde ich wieder kommen und dann habe ich gespart. Nur für diesen einen Tag!
Dann werde ich mit Banknoten um mich werfen und über sie stolzieren, nur damit
meine Schuhe nicht dreckig werden.
Und wenn mich dieser Troll dann wieder fragt
ob ich alleine bin werde ich sagen: „Nein! Denn ich habe die deutsche Nationalmannschaft
zu einem kleinen Umtrunk eingeladen.“
Und wenn dann Podolski und Co. auf
Kommando antraben, werden sie alle Fußballschuhe mit Stollen tragen und den
kompletten Marmor Eingangsbereich dieser Schickimicki Bude zerkratzen. Und die
Preisliste?
Die wird von Per Mertesacker aufgegessen.
Und wenn mich der Portier
dann entsetzt fragt wer ich bin dann sage ich: „Vielleicht bin ich gar kein
unvermögender Dorftrottel mit Blasen an den Füßen, sondern Manuel
Neuer!“
Ich merke wie mir schwindelig
wird. Oh man, ich brauche dringend eine Portion Schlaf.